rn 96 e L EICHE NR S BAM Sn; ER ER | EL MER. 7 ( N Presented to the LIBRARY ofthe UNIVERSITY OF TORONTO by h Lieder des Ghetto von Morris Rolenkeld Autor. Übertragung aus dem Jüdilchen von Berthold Feiwel mit Zeichnungen von E. M. Lilien % 35.—30. Taulend Benjamin Bar; Berlag - Berlin ⸗-Mien ik * *. Von dieſem Buche ſind 50 vom Künſtler numerierte und ſignierte Exemplare auf beſſerem Papier in koſtbarem Einband hergeſtellt Gedruckt im Jahre Neunzehnhundertund⸗ zwanzig in der Buchdruckerei von * W. Moeſer, Berlin 8 14 * Der Einband wurde ausgeführt von der Großbuchbinderei Fickentſcher, Leipzig Papier wurde bezogen aus der Papierfabrik von S. L. Cahen, Berlin * Clichés: Graphiſche Kunſtanſtalt Rich. Labiſch & Co. Berlin * * * \\BRARy OCT 2 1 1999 Borrede. MIR! . “ N 1 N 7 RT PRINT N 0 9. Ri) IN 7 — — 7 — SEINE Se NS DNS — | | | — | alt In N E/ N 0 10 5 iv HM 0 U 7 75 70 A 75 70 A 7 A N 4 4 — 97 82 Borrede. Lieder des Ghetto. Wohl ein Nachklang juͤdiſcher Romantik, der aus laͤngſtvergangener Zeit in unſere Tage ſich verlor? Denn das Ghetto, meint ihr, ſei laͤngſt nicht mehr. Die Mauern der Judenkerker ſeien gefallen, da die Trikolore wehte und das Schmettern der Freiheitsfanfaren ertoͤnte. Und vom Ghetto ſei nichts geblieben als die kleinen Hiſtoͤrchen, die ſo ergreifend zu erzaͤhlen wiſſen von vergangener Not und ſo anmutig von den neuen, beſſeren Tagen. Wohl — damals, als die Länder der Kultur von manchem anderen Stück Mittelalter erlöft wurden, hat man auch die Ghettomauern geſchleift. Die Mauern. Der furchtbare Geiſt aber, der einſt die ſtarren Kerkerwaͤnde errichtet hat, iſt nicht geſtorben. Unablaͤſſig iſt er an der Arbeit und baut uͤber Nacht neue Waͤnde, keine ſteinernen, aber er baut ſie mit Händen, die noch kunſtfertiger und noch graufamer geworden find ... . Doch von anderen Ghetti iſt die Rede: von jenen, die ſich uͤber ganze Laͤnder dehnen — dort im Oſten Europas —, deren Mauern nie zerbrochen wurden, und von den entſetzlichen Staͤtten in den ſchmutzigſten Teilen europaͤiſcher und nun auch amerikaniſcher Großſtaͤdte, in die ſich in unſeren Zeiten die juͤdiſche Not flüchten mußte. Die ihr ein Stuͤckchen Erde habt, auf dem ihr ſicheren Fußes einhergeht, ein Stuͤckchen ererbten Rechtes euer eigen nennt, das euch keiner nehmen kann, auch wenn ihr die Armſten feid, die ihr im Rauſch der Freude und im Übermaß des Schmerzes etwas Heimatliches habt, an das ihr euch zaͤrtlich ſchmiegen koͤnnet, das euch liebt und das ihr liebt, die ihr aus freier Bruſt lachen und weinen koͤnnet, auch wenn ihr die Niedrigſten ſeid, koͤnnt ihr ahnen, was das Ghetto iſt? Wiſſet ihr es, die ihr mit dem ganzen Stolz des Europaͤers ein neues Jahrhundert der Ziviliſation eroͤffnet, ihr ſogar, denen ſonſt nichts Menſchliches fremd iſt, die der Not und dem Leiden ihr Leben weihen, ihr gluͤcklicheren Juden endlich, die ihr in der Gunſt des Augenblickes euch gleichguͤltig oder ſcheu abwendet, wenn der Schatten fremdlaͤndiſchen juͤdiſchen Ungluͤcks auf euren Weg faͤllt? Nur die koͤnnen ermeſſen, was das Ghetto bedeutet, die die innerſte Teilnahme dahin geführt hat, und die, die im Herzen ihr Geſchick mit dem ihrer unglücklichen jüdifchen Bruͤder verknuͤpft haben. Wer aber vermoͤchte das Ghetto zu ſchildern? Denn faſt uͤbermenſchlicher, unſagbarer Leiden iſt das Ghetto voll, in das Millionen Menſchen geſperrt ſind. Menſchen? Die aͤrmſten Sklaven und zugleich die groͤßten Helden ſind es, die die Laſt des „Golus“ ſchleppen, die furchtbarſte Buͤrde, die je menſchliche Nacken drückte, Nicht Menſchen leben im Ghetto, nur die gequaͤlteſten menſchlichen Lebens inſtinkte. Hier lebt die Verzweiflung, die laͤngſt, Geſchlechter vorher, ſich an den furchtbaren Mauern ſtumpf geſtoßen hat. Hier lebt die Entſagung, der die tiefſte Entrechtung, das ſchmaͤhlichſte Helotentum aufgebuͤrdet iſt. Hier lebt die dunkelſte Armut, die hoffnungsloſe Not, die um ein bißchen Luft, Licht und Brot die Hände wund ringt. Hier lebt eine einzige Gott⸗ glaͤubigkeit und Liebe zur geheiligten Lehre, die Gott zur Ehre alle Martern erduldet, eine Aſzeſe, die um des himmliſchen Lohnes Willen die Ungeheuerlichkeit des Daſeins wie eine Fuͤgung, faſt wie eine Schuld trägt, und die unausloͤſchliche Hoffnung auf das meffianifche Reich, auf die Erloͤſung durch Zion, die jeden Augenblick kommen kann. Hier lebt die ſchwere Tradition der Zeremonien und Fefte, der traurigen mit ihren Faſten und Bußen, die die ganze Seele erfaſſen, der freudigen, die den einzigen kargen Schein in das troſtloſe Dunkel werfen. Hier lebt eine letzte Ahnung, daß es irgendwo auf Erden Frieden gibt, ein letzter Seufzer nach einem Ruheplaͤtzchen, nach einem Stückchen Heimat Aber dieſes Elend ſoll noch wachſen. Darum preßt man es tauſend⸗ und tauſendfach zuſammen in die finſtere Enge der Staͤdte und ſchnuͤrt es ein, daß es kaum atmen kann. Wieviel Grauen enthuͤllt eine einzige Straße! Wie ein alter Rieſenfriedhof ſtarrt ſie mit ihren dunklen, verfallenen Haͤuſern. Ein lebendiges Grab reiht ſich an das andere. Und manches dieſer Graͤber ſchließt Hunderte Menſchen ein, die ſich in den modererfuͤllten Stuben und Kammern aneinander draͤngen, nebeneinander, uͤbereinander, daß kein Winkel frei bleibt. In den Kruͤmmungen und Windungen der Straßen, in ihrem Schmutz und Staub ein Haſten und Draͤngen und Schieben — in den Augen der ſchreckhaft ver⸗ kuͤmmerten Menſchen die ſtarre Angſt der gehetzten Kreatur. Da lungern Kinder auf den Straßen, barhaupt, bloßfüßig, in Lumpen gehuͤllt, die Geſichter alt, als läge auf ihnen der ganze Jammer eines ungluͤcklichen Lebens, in den großen, brennenden Augen eine blutige Frage an das Schickſal, die nie beantwortet wird. Nie ſahen ſie einen freien Sonnenſtrahl, nie tummelten ſie ſich in Wald und Feld. Kaum daß ſie die erſten Worte lallen konnten, mußten ſie das Verzichten lernen, das Entbehren, das Hungern, das Schweigen Knaben eilen voruͤber, mit bleichen, eingefallenen Wangen. In Kaͤlte und Hitze, hungernd und fiebernd, muͤſſen fie zum „Cheder“, in die furchtbare, dumpfe, dunfterfüllte Schulſtube, in der der arme junge Geiſt zur Fruͤhreife gequaͤlt und der ſchwache Koͤrper noch mehr entkraͤftet wird... Kaum eine neue Art von Not haben die Kinder mehr zu lernen, wenn ſie herangewachſen ſind. Sie fuͤgen ſich ein in das unentwirrbare Maſſenelend der Lumpenhaͤndler, Bettelkraͤmer, Hauſierer, Laſttraͤger, Troͤdler, deren Vermoͤgen nicht viel groͤßer iſt als das Stuͤckchen Brot, an dem das Blut und die Traͤnen des taͤglichen Verzweiflungskampfes kleben — wofern ſie nicht untergehen im Haufen Arbeitsloſer, Bettelnder und Siecher ... Da iſt es, wo man die Greiſe findet, deren Antlitz kaum mehr menſchliche Zuͤge traͤgt und die dennoch mit zitternden Haͤnden ſchwere Laſten auf den wunden Ruͤcken laden. Da wohnen die Muͤtter, die in jungen Jahren das Siechtum des Alters ſchleppen, die fuͤr ſich nichts begehren als den Tod, wenn das Brot zu klein und der Raum zu enge wird fuͤr Mann und Kinder. Da ſind die Maͤnner, deren „Weinen die Bruſt ſprengt, deren Lachen iſt, als weinten Rieſen“. Da ſind die ungezaͤhlten, ungekannten Tauſende, die der Hunger taͤglich wuͤrgt und allmählich dahinrafft auf den Gaſſen, in den Hoͤfen, in den Kellern Oft jagt der Haß der Menſchen und die Grauſamkeit der Geſetze, das Elend und der nackte Daſeinsdrang, manchmal der Wagemut oder die quaͤlende Unraſt dieſe Ghettomenſchen einzeln, zu Hunderten oder zu Tauſenden uͤber die Grenzen. Arbeit, Arbeit zu jedem Preis — nichts anderes iſt es, was ſie ſuchen. Armſelige Traͤumer! Wo ſie ihren Fuß hinſetzen, waͤchſt das Ghetto empor. Sie pflanzen es auf auf den Heerſtraßen, unter den Bruͤckenboͤgen, in den Hafenplaͤtzen, auf dem Deck der Schiffe und endlich über dem Meer, wofern das neue Land das Mitleid hat, ſie aufzunehmen. Im neuen Kontinent, um wieviel iſt es beſſer als im alten? Wieder wohnen fie in der juͤdiſchen „Armengaſſ“, wieder muͤſſen ſie ſich um des armen Lebens willen wie eine Ware verkaufen. Ein neues Trieb⸗ werk der Not hat ſie erfaßt: Die Bettelhaͤndler wurden zu Bettelarbeitern, die die Werkſtatt und die Maſchine zermürbt. . . . Wie ein Wunder fcheint es manchmal, daß Millionen fo unſagbar gemarterter Menſchen noch immer ſoviel Heldenhaftigkeit, ſoviel Geduld, ſoviel religioͤſe Kraft aufbringen konnten, das Ghetto zu ertragen. Aber noch groͤßer iſt das andere Wunder: daß uͤber all dem Unglück eine Geiſtigkeit waltet, die, wie losgeloͤſt vom Körperlichen, immer neuen Geiſt aus C. ˙ ²mm2 ˙ꝛ ⅛˙ . . e UA NNNEN fih heraus erzeugt. Oft wird dieſe Geiſtigkeit — das unter entſetzlichen Leiden gerettete Erbe der Väter — bis zum dußerften gequält, da fie der Not des Augenblickes dienen muß, manchmal verzerrt und verkruͤmmt, wie ſo vieles im Ghetto, manchmal aber treibt ſie ganz ſeltſame Bluͤten von einer reizvollen, weichen und traurigen Schoͤnheit. Immer aber harrt ſie des einen machtvollen Antriebes, der ſie zu den groͤßten Leiſtungen eines wundervollen Enthuſiasmus entfachen koͤnnte — ehe es zu ſpaͤt iſt. Unter den Menſchen des Ghetto, fuͤr ſie und in ihrer Sprache ſang Morris Roſenfeld ſeine Lieder. — — — — „Ich bin geboren am 25. Dezember 1862 in dem kleinen Staͤdtchen Bokſcha in Ruſſiſch⸗Polen. Mein Großvater, mein Vater, alle, die zu unſerer Familie ge⸗ hoͤrten, waren Fiſchersleute. Die kleine Stadt liegt in einer lieblichen Gegend zwiſchen Wald und See. Ich war noch ein Kind, als meine Eltern nach Warſchau ziehen mußten. Man ſchickte mich zum „Cheder“, und ich lernte dort Talmud und ein wenig Polniſch und Deutſch. Mit 18 Jahren heiratete ich und ging nach Holland, wo ich durch 6 Monate die Diamant⸗ ſchleiferei lernte und betrieb. Von dort zog ich nach England. Hier arbeitete ich durch drei Jahre in den Sweat⸗Shops“ von London. Ich fuhr dann nach Amerika, wo ich bis zum heutigen Tage verblieb. In den dumpfen, finſteren Sweat⸗Shops von Neuyork war es, wo ich ſingen lernte von Unterdruͤckung, Leid und Elend. Bei Tage arbeitete ich, nachts ſchrieb ich meine Gedichte. Die Werkſtatt zerruͤttete meine Geſundheit, und ich mußte die Arbeit an der Maſchine aufgeben. Ich wandte mich der Journaliſtik zu und war durch einige Jahre Mitarbeiter der bedeutendſten amerikaniſch⸗juͤdiſchen Blaͤtter. Es ging mir erſt beſſer, als die Sammlung meiner Lieder „Songs from the Ghetto“ ** herauskam. In der Zeit meines literariſchen Schaffens veroͤffentlichte ich (auf eigene Koſten) zwei kleine Baͤndchen meiner Gedichte: „Die Blumenkette“ und „Das Lieder⸗Buch“. Aber ich war auch toͤricht genug, noch als Anfaͤnger 13 Jahre vorher ein kleines Buch: „Die Glocke“ heraus⸗ zugeben. Dieſes Buch war ein literariſcher Fehlgriff. Ich arbeitete zu jener Zeit im Sweat⸗Shop und hatte keine Zeit, die Gedichte durchzuſehen. So wurden ſie mit einer Menge von Fehlern gedruckt. Ich habe nachher viele Exemplare des Buches auf⸗ gekauft und fie verbrannt.. .. Damit iſt in den wichtigſten Linien mein Leben ge zeichnet. — — — »Werkſtaͤtten, in denen nach dem berüchtigten Schwitzſyſtem die Arbeitskraft für einen Hungerlohn bis zur Außerften Grenze ausgebeutet wird. * Erſchien 1898, 2. Aufl. 1899, herausgegeben von Leo Wiener, Prof. an der Harvard⸗Univerſitaͤt zu Cambridge. Es iſt das Verdienſt Prof. Wieners, der auch ſonſt viel für die hiſtoriſch⸗kritiſche Behandlung der „Jargon“ Literatur geleiſtet hat, Morris Roſenfeld „entdeckt“ und beim amerikaniſch⸗engliſchen Publikum eingeführt zu haben. Das ift die Selbſtbiographie des Dichters. Wer koͤnnte ahnen, welche Fülle von Wandernot und Proletarierverzweiflung, von Judenſchmerz und Dichterweh dieſe Linien einſchließen! Faſt ſcheint es, als koͤnnte der Dichter von dem Übermaß des Leides nicht in den Worten des Alltags ſprechen, nur in den Liedern, die von Traͤnen uͤberfließen. Aus dem „Cheder“⸗Jungen und Arbeiter iſt ein berühmter Dichter geworden, der gekannt und geliebt wird weit uͤber den Kreis derer hinaus, aus denen er hervorgewachſen iſt. Die „Songs from the Ghetto“ trugen ſeinen Namen durch Amerika und dann heruͤber nach Europa ... Doch die Buͤrde des Ghetto muß er weiter ſchleppen wie zuvor. Den Fron- dienſt der Sweat⸗Shops hat der kranke Dichter — nach anderen Verſuchen — gegen die noch ſchwerere Sklaverei am Schreibpult vertauſcht, die nur der ganz verſtehen kann, der den traurigen Notſtand juͤdiſcher Schreiber kennt. Das letzte Jahr bedeutete fuͤr ihn eine Irrfahrt von einer „Jargon“⸗Zeitung zur andern: „Nicht getraͤumt und nicht geſungen Schon ſeit langen, langen Wochen. Tief verwundet iſt die Seele, Und mein Geiſt, er iſt gebrochen. Zeile muß um Zeile ſchuften, Der zum Singen ward erkoren, Und die Spur der freien Goͤttin, Meiner Kunſt, hab' ich verloren. Eine ſchmutzig⸗graue Karre Muß mein ſtolzer Cherub ziehen, Der mich einſt in Himmel fuͤhrte, Wo die lichten Traͤume blühen ...“ Es iſt ein Gedicht voll tiefer Bitterkeit, mit dem ſich der Dichter von der Arbeit abkehrt, der er ſich verkaufen mußte. Wann wird ihn endlich das Ghetto freigeben, das ihm die heißeſten Traͤnen und die ſchmerzensreichſten Lieder erpreßt hat?. n l. Der Dichter hat ſeine „Songs from the Ghetto“ in drei Teile geſchieden: In die Lieder der Arbeit, des Volkes und des Lebens. Es iſt eine mehr aͤußerliche Einteilung. Denn alle drei Teile ſind von einer Stimmung getragen: einem gewaltigen Schmerz, der ſich empoͤrt gegen die Grauſamkeit des Schickſals und der Menſchen, der wild aufſchreit, ohne einen Widerhall zu finden, der fich verzweifelt kruͤmmt und endlich kraftlos zuſammenbricht, um den letzten halberſtickten Seufzer in einer Flut von Traͤnen zu begraben. Ob der Dichter von der Arbeit, von ſeinem Volke, ob er von ſich oder ſeinen Bruͤdern ſingt, immer iſt ſeine blutende Seele darin, die die Seele des Ghetto-Judentums iſt, jener Menſchen, die „dreifach elend find, behaftet mit den boͤſen drei Gebrechen, mit Armut, Koͤrperſchmerz und Judentume ..“ Manchmal miſcht ſich in dieſen Rieſenſchmerz wie ein verlorener Klang eine unbeſchreiblich⸗ ruͤhrende Wehmut. Das iſt die Erinnerung an die erſte Kinderzeit. Von weither kommt ein Leuchten, Klingen und Duften: der Glanz der Sonne, das Schimmern des Sees, der Sang der Voͤgel und das Rauſchen des Waldes — all die Schoͤnheit, die er, gluͤcklicher als Millionen ſeiner Bruͤder, noch in ſich aufnehmen konnte, ehe die Nacht des Ghetto ihn umfing. Dann aber geſchieht es, daß ihn dieſe unſagbar⸗traurige Melancholie aus der Vergangenheit uͤber die Not und das Elend des Ghetto hinweg in ein Reich der Zukunft trägt, das von unerhörter Herrlichkeit iſt. Dann geht ein maͤchtiges Rauſchen durch die Weiden an den Waſſern zu Babel, und, die verwaiſt waren, die Harfen Iſraels, beginnen wieder zu klingen. Und der Dichter des modernen Ghetto wird zum Saͤnger des modernen Zionismus, der gewaltigen Freiheitsbewegung des lebendigen Judentums, die die Juden aus der neuen Gefangenſchaft in die alte Heimat, in ihren Frieden und ihre Freiheit fuͤhren will. Über die dichteriſche Bedeutung Morris Roſenfelds ſoll hier nicht geſprochen werden. Kein Ehrgeiz trieb ihn. Er dichtete, was er lebte. Keine fremde Literatur hat ihm die Muſter geliefert, kein Meiſter hat ihn Vers und Reim gelehrt; Ein armer Schneidergeſelle, ein hungernder Jude, der in ſchlafloſen Naͤchten ein Poet wurde, ohne daß er es wollte und wußte — durch die harte Gnade der Not. Das iſt alles. Und vielleicht kann noch hinzu⸗ gefuͤgt werden, daß er ſchon einen Teil des Ruhmes gefunden hat, den er verdient. Bedeutende Dichter der europaͤiſchen Literatur, die ihn kennen lernten, haben ihm einen Platz angewieſen neben den groͤßten Poeten der letzten Jahrzehnte.“ Wohl aber wird es notwendig ſein, etwas von der Sprache zu erzaͤhlen, in der er ſeine Lieder dichtete, und von dem Literaturkreiſe, dem ſie angehoͤren, die beide den meiſten weſteuropaͤiſchen Juden — und natuͤrlich den Nichtjuden — fremd ſind wie das Ghetto ſelbſt, Am beſten kennzeichnet wohl die Würdigung, die Roſenfeld gefunden hat, die Tatſache, daß zurzeit mehrere uͤberſetzungen in europaiſche Sprachen vorbereitet werden: eine englifche, eine polniſche, eine tſchechiſche (die von dem bervorragendſten tſchechiſchen Dichter, Jaroslar Urchlicky, beſorgt wird), und eine Auswahl der „Lieder des Ghetto“ in ruſſiſcher Übertragung, die in einer von Maxim Gorki herausgegebenen Sammlung Aufnahme finden wird. aus dem fie hervorgewachſen find. Es dürften einige Bemerkungen darüber um fo ange brachter fein, als mit dem vorliegenden Buch zum erften Male der Verſuch gemacht wird, ein ganzes Dichterwerk aus der „juͤdiſchen“ Sprache ins Deutſche zu übertragen und in die deutſche Literatur einzufuͤhren N Unter der „juͤdiſchen“ Sprache verſteht man den ſogenannten „juͤdiſch⸗deutſchen Jargon“ (zum Unterſchied von anderen juͤdiſchen Mundarten), das „Piddiſy“, wie man es in England und Amerika nennt, Mame-Loschen* oder Prost-Judiſch“, wie es bei denen heißt, die die Sprache ſprechen. Vielleicht iſt bei manchen ein Mißverſtaͤndnis möglich: Darum ſei bemerkt, daß das „Juͤdiſche“ durchaus nicht mit der koͤniglichen Sprache der „Schrift“, mit dem Hebraͤiſchen, verwechſelt werden darf. Beide Sprachen leben im jüdifchen Volke: Das Hebraͤiſche aber — obwohl es die eigentliche Nationalſprache und in ſeinen bibliſchen Erzeugniſſen Gemeingut iſt — gehoͤrt in ſeinen heutigen literariſchen Formen nur einem Bruchteil des Volkes. Es iſt mehr eine Sprache der Gebildeten, allerdings eine Sprache, die in den letzten Jahrzehnten, neuverjuͤngt und angeregt und geſtaͤrkt durch die juͤdiſche Renaiſſance unſerer Tage, ſich machtvoll zu entfalten beginnt. Unter der Feder ausgezeichneter Poeten, Eſſayiſten und Publiziſten iſt das eherne, klangvolle Hebraͤiſch zu einer durchaus modernen Sprache geworden, die in mehreren Tagesblaͤttern ebenſo die Terminologie des Alltags zu finden weiß wie in den philoſophiſchen Eſſays der Zeitſchriften die Termiologie der Denker, und die in der Poeſie den uralten Glanz und die Farbenpracht der Propheten mit dem Geiſt und dem Rhythmus unſerer Zeit vermaͤhlt. Es gehoͤrt mit zu den großen Zwecken der zioniſtiſchen Freiheitsbewegung, die dem Volke eine Heimat ſchaffen will, der alten, ewig⸗ jungen Nationalſprache eine Heimat im Volke zu ſchaffen. N 7 4: AN N NN Sy 7 4 iu IN Das „Juͤdiſche“ aber ift die Sprache, die vom Volke, das iſt von mindeſtens 6 bis 7 Millionen Juden, geſprochen wird. Es iſt kaum einem anderen Umſtande zuzuſchreiben * Mame-Loschen (ruſſiſch: mama, hebräifch: laschon) = Mutterſprache. s Prost - Juͤdiſch (ruſſiſch: prosto) = Schlicht⸗Juͤdiſch. als der großen Scheu, die das mefteuropdifche Judentum vor einer Berührung mit dem oͤſtlichen empfindet, daß man bis in die neueſte Zeit hinein kaum eine Vorſtellung vom „Juͤdiſchen“ hatte. Man hielt es im guͤnſtigſten Falle fuͤr ein entſetzlich verdorbenes Deutſch, meiſtens aber fuͤr ein haͤßliches Kauderwelſch, das ſich am beſten im Dunkel des Ghetto halten ſollte. Weder das eine noch das andere iſt das „Juͤdiſche“. Es iſt eine Sprache ſo gut wie eine andere, die vielleicht nur dem Ohr des Deutſchen mißfaͤllig klingt, der ungerne Laute ſeiner Sprache korrumpiert und in bunter Geſellſchaft mit allerhand fremden Elementen vorfinden mag. Leider iſt das „Juͤdiſche“ aus den Gruͤnden, die wir oben erwaͤhnten, auch von der Wiſſenſchaft bisher aͤußerſt ſtiefmuͤtterlich behandelt worden. Und doch waͤre die Sprache die koſtbarſte Fundgrube fuͤr den vergleichenden Sprachforſcher, den Kulturhiſtoriker und Voͤlkerpſychologen. Wieder iſt es das Verdienſt der nationalsjüdifchen Bewegung, daß man nunmehr damit beginnt, auch auf dieſem Gebiete einem wertvollen Stuͤck Judentum ans Licht zu helfen. Hier nur einige kurze Andeutungen über dieſe Sprache und ihre Literatur“: Die Anfänge des „Juͤdiſchen“ liegen noch im Mittelalter. Es ſtammt vom Mittel rhein, und noch heute laſſen ſich viele Spuren dieſer Herkunft aus Jargonworten und wendungen deutlich erkennen. Seit ſeinem Entſtehen bis auf den heutigen Tag iſt das „Juͤdiſche“ foͤrmlich ein Wegweiſer fuͤr die Schickſale des juͤdiſchen Volkes. Als die Juden aus Deutſchland in großer Menge nach dem Oſten Europas wanderten, nahmen ſie den faſt deutſchen Dialekt mit in die Laͤnder des Golus und vermengten ihn im Laufe der Jahrhunderte mit einer großen Zahl hebraͤiſcher, ſlawiſcher und anderer Sprachelemente. Dabei erlitten die verſchiedenen Sprachbeſtandteile eine bedeutende Veraͤnderung. Sie wurden ebenſo wie das deutſche Grundelement in ihren Formen teils durch eine will⸗ kuͤrliche Konſtruktion, teils durch eine neue Art der Ausſprache umgeſtaltet. Manchmal wurden verſchiedene Sprachelemente miteinander kombiniert, ſo daß ſich neue Worte er⸗ gaben, manchmal die Flexion (z. B. aus dem Deutſchen), manchmal der Satzbau G. B. aus dem Hebraͤiſchen) fuͤr Konſtruktionen der Geſamtſprache verwendet. Beſonders charakteriſtiſch fuͤr die Sprache iſt, daß ſie ebenſo konſervativ als fluͤſſig und veraͤnderlich * Diejenigen, die Ausfuͤhrlicheres über die „Jargon“ Literatur erfahren wollen, verweiſen wir auf Wieners: „The history of Yiddish literature in the nineteenth century, London, Nimmo“, worin weitere Fingerzeige zum Studium des Gegen⸗ ſtandes gegeben find. — Eine intereſſante philologiſche Studie über den „Jargon“ von Gerzon iſt in letzter Zeit bei Kauf mann, Frankfurt, erſchienen. iſt. Wie fie einerfeits deutſche Elemente bewahrt hat, die im Hochdeutſchen laͤngſt ver- ſchollen ſind und hoͤchſtens hier und da in einem verſprengten Dialekt auftauchen, hat ſie andererſeits je nach den Laͤndern, in die ſie verpflanzt wurde, und nach den Schickſalen, die ihre Traͤger trafen, neue Elemente aufgenommen. So hat ſich wohl ein feſter Kern des „Juͤdiſchen“ gebildet, zugleich aber wuchſen aus ihm wieder einige Mundarten hervor, ſo daß es heute mehrere insbeſondere durch die Ausſprache und die neuaufgenommenen Beſtandteile — allerdings nicht allzu weſentlich — voneinander unterſchiedene Arten des „Jargon“ gibt, z. B.: den polniſchen, litauiſchen, rumaͤniſchen, engliſch⸗amerikaniſchen uſw. Manchmal tritt dieſe Eigenart — die ſtarre Altertuͤmlichkeit und moderne Beweglich⸗ keit — des „Jargon“, dieſes wahrſten Begleiters Ahasvers, in den Schriften eines ein⸗ zigen Autors bis zur Greifbarkeit deutlich hervor. Die Sprache Morris Roſenfelds z. B. geht aus vom litauiſchen „Jargon“, der ſchon an ſich ſehr reich iſt, nimmt, dem Lebensweg des Dichters folgend, neue polniſche Beſtandteile auf und vermehrt endlich ihren Wortſchatz um eine ganze Menge engliſcher Elemente — meiſtens Worte, die aus den Gewerben hergeholt ſind, mit denen er in Beruͤhrung kommt. So finden wir in ſeiner Sprache neben der Mehrheit von Worten deutſchen und hebraͤiſchen Urſprungs eine nicht unbedeutende Zahl ſolcher, die aus dem Ruſſiſchen, Polniſchen, Slawiſchen uͤber⸗ haupt, aus dem Engliſchen (z. B. boss = boss, meiner = miner, adwerteisen — ad- vertise, appreeter = operator, dschodsch judge, pennile = penny uſw. uſw.), ſogar aus dem Lateiniſchen (impet = impetus) und aus dem Italieniſch⸗Franzoͤſiſchen (benschen = benedire, bénir) hergeleitet find. Die Literatur des „Juͤdiſchen“ fest ſchon im 15. Jahrhundert ein. Doch iſt ihre Pro- duktion in den Anfaͤngen nicht ſehr bedeutend. Sie dient den Zwecken des religioͤſen Lebens, des Kultus und der Zeremonien, der leichten Unterhaltung und den Geſchaͤfts⸗ beduͤrfniſſen. Vor allem iſt der „Jargon“ die literariſche Sprache der Frauen. In ihren „Andachtsbuͤchern“ finden ſie die Gebete, die ſie mit Gott „auf du und du ſein laſſen“, aus den Maasse- (Geſchichten⸗) Büchlein befriedigen fie ihr kleines Bedürfnis nach Unterhaltung. Nebenher aber findet ſchon in den erſten Zeiten die Literatur eine ungemein wertvolle Bereicherung durch eine Fuͤlle von Sagen, Maͤrchen, Legenden und Volks⸗ liedern, die natuͤrlich anonyme Dichter haben und deren Produktion faſt bis in unſere Tage hineinreicht, die aber leider, wie man aus vielen Fragmenten und Andeutungen ſchließen muß, heute nur zum geringeren Teile mehr erhalten ſind.“ Der Anfang der juͤdiſchen Literatur aber faͤllt in die letzten Dezennien des vergangenen Jahrhunderts. Es iſt hier nicht der Ort, dieſe Literatur eingehend zu wuͤrdigen. Es ſei nur geſagt, daß der „Jargon“ in dieſer Zeit eine Reihe von Dichtern und Schriftſtellern hervorgebracht hat, die ihn zum Range einer literariſchen Sprache erhoben haben, und die es verdienen, auch in den Kreis der allgemeinen Literatur gezogen zu werden. Die beſten Namen des „Jargon“ ſollen wenigſtens genannt werden: Schalom Jakob Abra⸗ mowicz (Mendele Mocher S'forim), der Klaſſiker der „juͤdiſchen“ Proſa, Scholem Alejchem, hervorragend in der humoriſtiſchen Kleinmalerei, Spector und Dieneſohn, die die ſchlichte Erzaͤhlung meiſtern, D. Pinski, der als Erzaͤhler und als Dramatiker Wert⸗ volles geleiftet hat. Der bedeutendſte Dichter der „juͤdiſchen“ Proſa aber iſt J. L. Perez, der modernſte und feinſte, der am tiefſten in die juͤdiſche Volksſeele geblickt hat. Neben dieſen Männern, die zum Teil auch Hervorragendes in der hebräifchen Literatur geleiſtet haben, wirkten und wirken noch viele andere aͤltere und juͤngere Literaten, die hier nicht alle aufgezaͤhlt werden koͤnnen. Derjenige, der den „Jargon“ zuerſt fuͤr die Poeſie erſchloſſen hat, iſt S. Frug (auch als ruſſiſcher Dichter bekannt), dem ſich Perez u. a. zugeſellten. Ihren Gipfelpunkt aber er⸗ reichte die juͤdiſche Poeſie mit Morris Roſenfeld. Er hat den „Jargon“ als poetiſche Sprache gemeiſtert wie keiner vor ihm und hat ihm eine Reihe neuer Motive eroͤffnet, vor allem das ſpezifiſch juͤdiſch⸗ſoziale, das vor ihm nur »Man hat u. a. in allerletzter Stunde begonnen, die juͤdiſchen Volkslieder in Rußland, die noch im Volke leben, zu ſammeln. Der erſte Teil dieſer Sammlung, der einige hundert Stuͤck (ohne die ſehr intereſſanten Melodien) enthält, birgt eine Fülle koſtbaren hiſtoriſchen, ſprachwiſſenſchaftlichen und nationalen Materials. Die Sammlung erſchien im Verlage des „Woſchod“, Petersburg. . u ganz vereinzelt Perez und Pinski verwendet haben. Seine Diktion ift durchaus edel und geſchmeidig. Klagten vor ihm noch die Poeten des „Jargon“, daß ſie Muͤhe haͤtten, ſich die Sprache dienſtbar zu machen, fo iſt fie ihm ein Inſtrument, dem er alle Töne entlocken kann. Ihm gelingt die Plaſtik der Bilder, die rauſchendſten und die zarteſten Rhythmen weiß er zu formen, und fuͤr die tiefſten und ſchlichteſten Gedanken findet er den Ausdruck. Vor allem aber meiſtert er die Klangmalerei: Wenn er z. B. das Wuͤten des Sturmes ſchildert: „Es wojet, es mojet meschune der wind.. Es ssappet der Kessel, es huzet der komen oder freundliche Bilder zeichnet — das lichte Gotteshaus: „In schul is itzt zichtig un' lichtig un' fein“ oder die ſchimmernden Chanukka⸗ichter: „Wenn ich seh aich schminklendig Kummt a cholem finklendig. . .* Unſtreitig, daß er der Meifter der Ghetto⸗Poeſie if. — — — — — — — — -— — RN Und nun feien zum Schluſſe noch einige Worte zum vorliegenden Buche geſtattet, das eine Sammlung ausgewaͤhlter Gum Teil aus dem Manufkript uͤberſetzter) Gedichte ent⸗ hält. Zunaͤchſt zur Überfegung: Sind poetiſche Übertragungen an und für ſich eine ſchwierige Sache, ſo vervielfachen ſich dieſe Schwierigkeiten um ein Bedeutendes bei einer Überſetzung aus dem „Juͤdiſchen“. Man wird das leicht verſtehen, wenn man daran denkt, aus wieviel Beſtandteilen die Sprache ſich zuſammenſetzt, die eine Fuͤlle ebenſowohl von Synonymen als von feinſten Nuancen erzeugen und manchmal ihre ſpezifiſche Ghetto⸗Note haben, nicht zu reden davon, daß der „Jargon“ in ſeinen Kreis eine Unzahl von Begriffen des juͤdiſch⸗religioͤſen und zeremoniellen Lebens zieht, die ſich geradezu dagegen ſtraͤuben, in das Gewand einer anderen Sprache gekleidet zu werden. Dieſe Schwierigkeiten erhoͤhen ſich noch, wenn man — wie etwa bei einer Überſetzung ins Deutſche — das philologiſch⸗verwandtſchaftliche Moment nicht außer acht laſſen will, Vielleicht wird man ſich dies alles bei einer Beurteilung dieſes erſten Verſuches, ein Werk des „Jargon“ ins Deutſche zu übertragen, vor Augen halten. Der Überfeger kann fuͤr ſeine Perſon nur hinzufuͤgen, daß er viel guten Willen und Fleiß an die Sache : K ] ß . fd HTEL STEEL EL DENELIENCHNFÄNDLEET gewandt hat, und auch das, daß ihm die feelifche Anteilnahme für die Perſoͤnlichkeit und das nationale und ſoziale Empfinden des Dichters die Arbeit ſehr erleichtert hat. In praͤchtigem Gewande gehen die Lieder, die im Dunkel und in der Not entſtanden find, in die Welt. Der Kuͤnſtler der dieſes Buch illustriert hat, und der Überſetzer ſind dem Verlage dafuͤr um ſo dankbarer, als er damit dem Beſtreben einer Gemein⸗ ſchaft von jungen Juden entgegenkommt, die dem weſteuropaͤiſchen Judentum und auch der nichtjuͤdiſchen Offentlichkeit, die dafuͤr Intereſſe hat, die Erzeugniſſe der modernen national ⸗juͤdiſchen Kultur, vor allem der Literatur und Kunſt, in ſchoͤnen Formen er ſchließen möchte. Als einen kleinen Beitrag zu dieſem großen Unternehmen mag man dieſes Buch aufnehmen. Glion sur Territet, im Auguſt 1902. Berthold Feiwel. Zn, — — —— 0 A 9 1 — een m — MN Y 5 *. M N N N N 2 M EEE 5 sEce<< Lieder der Arbeit. — Inlien Mein Lied. O glaubt, kein goldnes Inſtrument Stimmt meine Kehle zum Singen. O glaubt, kein Wink von oben laͤßt Meiner Leier Saiten erklingen. Doch der Sklave, der ſeufzt, und der Sklave, der ſtoͤhnt, Der weckt in mir die Lieder, Und flammend erwacht in mir ein Sang Fuͤr meine armen Bruͤder. A | N DS 1 * Dafür vergeh’ ich vor meiner Zeit, Dafuͤr verbrauch' ich mein Leben, Was koͤnnen mir fuͤr einen Dank Die armen Leute geben? Sie geben fuͤr Traͤnen Traͤnen her, Sie koͤnnen nicht anders mich lohnen, — Ich bin ein Tränen Millionär Und beweine die Millionen Pe \ \ A N 2 i zmr I. | Ä nr. De | N — 24 f Die Werkſtatt. Es ſauſen und brauſen ſo wild die Maſchinen, Es rauſcht und ſchwirrt und ſurrt um mich her: Der Taumel verſchlingt mich, mein Ich geht unter, Ich bin nur Maſchine, Maſchine, — nichts mehr. Arbeit auf Arbeit, — wer rechnet die Arbeit? Ich ſchaffe und ſchaffe und ſchaff ohne Zahl: Wofuͤr? Und für wen? Ich weiß nicht, ich frag' nicht, — Denkt denn auch eine Maſchine einmal? . . . Tot jedes Gefuͤhl, tot jeder Gedanke: Die blutig⸗grauſame Arbeit erſchlaͤgt Das Edelſte, Beſte, das Reichſte, das Hoͤchſte, Das Schoͤnſte, was Menſchenherzen bewegt. Es ſchwinden Sekunden, Minuten und Stunden, Und Tage und Naͤchte ziehn pfeilſchnell hinweg: Ich treibe das Rad, als wollt' ich's erjagen, Und jage drauf los, ohne Sinn, ohne Zweck. Die Uhr in der Werkſtatt, die ſteht nicht ſtille, Zeigt an und tickt und ſchlaͤgt und weckt. Mir ſagte einſt einer die eigne Bedeutung, Die in dem Ticken und Schlagen ſteckt. Faſt traumhaft kommt mir ein ſeltſam Erinnern: Die Uhr weckt Geiſt und Lebensbegehr Und lehrt — doch was? — Ich hab' es vergeſſen, O fragt nicht, — ich bin nur Maſchine, — nichts mehr. Es tickt und ſchlaͤgt, es kreiſen die Zeiger .. Doch horch — was klingt dort her von der Wand? „Rege dich!“ ruft der ruhloſe Pendel, „Raſcher, raſcher ruͤhre die Hand!“ Die Zeiger gleichen zwei boͤſen Augen, Die lauernd auf mich hinunterſehn, Und jeder Schlag iſt wie Meiſters Schelten: „Maſchine,“ ſchreit es, „du haft zu naͤhn!“ — — Nur dann, wenn langſam verrauſcht das Getuͤmmel Und der Meiſter fort iſt, — zur Mittagszeit, — Da kommt wieder Klarheit in meine Sinne, Ich fuͤhl' meine Wunden, es regt ſich mein Leid, Und bittere Traͤnen und heiße Traͤnen Benetzen mein mageres Mittagsbrot, — Es wuͤrgt mich, ich kann nicht mehr eſſen, ich kann nicht! O ſchreckliche Arbeit! Entſetzliche Not! Es ſcheint mir die Werkſtatt zur Mittagsſtunde Ein Schlachtfeld, auf dem das Kaͤmpfen ruht: Ringsum im Kreiſe, da liegen viel Tote, Es ſchreit von der Erde zum Himmel ihr Blut. Ein Weilchen — dann laͤutet die Glocke zum Sturme, Die Toten erwachen, anhebt die Schlacht, Es kaͤmpfen die Koͤrper fuͤr Fremde, fuͤr Fremde, Und ſtreiten und fallen und ſinken in Nacht. 921 Ich blick' auf den Kampfplatz mit bitterem Zorne, 12 ö Mit Schreck und mit Haß und mit hoͤlliſcher Pein, * Wu”, Die Uhr jetzt verſteh' ich fie richtig — fie weckt mich: d e 27 „Genug ſchon der Knechtſchaft! Ein Ende muß ſein!“ TH U Sie weckt meine Sinne und reist die Gedanken 1 Und zeigt mir, wie eilends die Stunden entfliehn: p N, Ein Elender bin ich, ſolange ich ſchweige, HL] Verloren, folange ich bleib’, was ich bin. 4 Pr, Der Menſch, der in mir gefchlafen, erwacht jetzt, N * Der Knecht, der in mir gewacht hat, ſchlaͤft ein. ® e Jetzt iſt die richtige Stunde gekommen! } 2 Ka Genug ſchon des Elends! Ein Ende muß ſein! ... a N { Da plöglih — ein Pfiff — der Meiſter — ein Laͤrmen — 2 Die Schlacht hebt an — es wogt um mich her — A 887 Der Taumel verſchlingt mich — ich weiß nichts — 8 mich ſchert nichts — 9 Ich bin nur Maſchine, Maſchine, — nichts mehr. 0 — N 22 vs 4 2 088 7 Lied der Arbeiter. Wir ſcharren die Arbeit Mit „Scharrer“-Maſchinen Und ſcharren viel Schaͤtze hinein. Doch was wir da ſchaffen Und was wir vollbringen, Und was wir erraffen Und was wir erringen, Iſt Hunger und Elend und Pein. Wir ſcharren und ſcharren Und hoffen und harren: Was hilft es uns Narren? — Man narrt uns doch! Wir ſcharren und ſcharren, O, bis wir erſtarren Und fallen im Joch. Wir ſingen und treiben Die „Singer“⸗Maſchinen, — Dem Meiſter das Liedel gefällt, Das Lied von der Flut Der Traͤnen, die rinnen, Von Kleidern mit Blut „Scharrer“ und „Singer“⸗Maſchinen = im engliſch-amerikaniſchen Schneidereibetrieb bekannte Fabrikate. Und Flüchen darinnen, Von einer gar traurigen Welt. Das Rad wird geſchwungen, Das Lied wird geſungen Von Alten und Jungen: Wir brauchen die Lungen Den Reichen zur Macht und zur Pracht. „5 Wir ſingen und ſingen, 7 O, bis uns verſchlingen 2 Die Schatten der Nacht. eee — — . — A Nr * U 2 TIER m N = RI u WN N N N N % ANZ MIN 75 / / / / — | N 1 € Lieder von der Armengaſſ'. Die Lieder von der Armengaſſ', Ein bitterwehes Singen! Was werden meine Augen naß? Was ſtockt mein Atem? Was werd' ich ſo blaß? Das Herz will ſchier zerſpringen. Das iſt, — es zog vorbei ein Klang, Vorbei ein Armengaſſen⸗Sang. „Roſinen und Mandeln“ — ihr kennt das Lied, Die Mutter ſingt's an der Wiege. Ihr Aug' iſt ſo muͤd, das aufs Kindlein ſieht, Sie ſelbſt iſt ſo elend — und ſingt doch das Lied Von der „goldenen, goldenen Ziege“. Und das Kind iſt krank, und der Mann iſt tot — Roſinen im Lied und im Stuͤbchen kein Brot. Dort ſingen Kinder einen Sang Mit unſchuldsvollen Mienen. Du junges Lied! Es waͤhrt nicht lang, So wird verſchlingen den reinen Klang Das wirre Gebraus der Maſchinen. Jaͤh wird verſtummen im Laͤrm der Fabrik Des ſuͤßen Kindermunds Muſik. Das Lied von den „Roſinen und Mandeln“ und der „goldenen Ziege“ = ein bekanntes jüdifches Volkslied. S e N S 00 2 2 Der „Badchen“ ſingt ein luſtig Stuͤck Dem jungen Hochzeitspaare. Ihr armen Kinder der grauen Fabrik, Ihr kehret ſchon morgen zur Werkſtatt zuruͤck Und bleibt dort alle Jahre. Der „Badchen“ ſingt mit lachendem Mund — Ich moͤchte weinen aus Herzensgrund. Dort ſteht an der Preſſe ein blaſſer Mann Und preßt und ſummt ein Liedel, Ich ſtaun', wie der noch ſingen kann — Weh mir! Da grinſt der Tod mich an, Er ſpielt auf der Sterbefiedel — — Noch einen Tag und noch eine Woch', Dann faͤllt der Blaſſe unterm Joch. Du Lied, das in der Gaſſ' erſchallt, Du Lied voll Leid und Schrecken! Mich packt des Haſſes wilde Gewalt, Das Auge brennt, die Fauſt iſt geballt, Das Elend niederzuſtrecken. Zuviel der Not, zuviel der Pein Schließt dieſe enge Gaſſe ein. fin der Aähmaldjine. An der Naͤhmaſchine. Seht euch den blaſſen Geſellen an, Verbraucht iſt ſeine Kraft. Doch Stund' um Stund' und Tag um Tag Er ſitzt und naͤht und ſchafft. N Viel Monde kommen und ziehen dahin, Und Jahr um Jahr vergeht, — Mit krummem Nuͤckgrat, der blaſſe Geſell, Er ſitzt und naͤht und naͤht. Es perlt der Schweiß von der heißen Stirn, Die Wangen ſind bleich wie der Tod, Ich fuͤhl's, hier ſchafft nicht Koͤrperkraft, Hier lebt und treibt nur die Not. Manch heißen Tropfen ſaugt gierig die Naht, — Sein Aug' wird nicht traͤnenleer — Und die er naͤht, von fruͤh bis ſpaͤt, Die Kleider find traͤnenſchwer . . Wer kuͤndet grauſe Zukunft mir? Wie lange der bleiche Mann Noch jagen mag das furchtbare Rad? Wer weiß das Ende, ſagt an? Ich weiß es nicht. Doch weiß ich wohl: Wenn den — ob fruͤh, ob ſpaͤt — Die Arbeit erſchlaͤgt, — ſitzt ein andrer da Und naͤht und naͤht und naͤht . A Die Nachtigall zum Arbeiter. Schoͤn Sommer iſt heut, ſchoͤn Sommer iſt heut! Hoͤrſt du mein zaͤrtliches Locken? Vom tiefblauen Himmel Goldſonne blinkt, Luftvoͤlkchen im Walde ſchmettert und ſingt, Froh ſummt es auf bluͤhenden Glocken. Es plaudert die Quelle und murmelt der Teich Und prangen die Bluͤmelein wunderreich — — Geſelle, — genug ſchon geſchuftet! Steh auf! Rings blitzt es von eitel Freud: Schoͤn Sommer iſt heut, ſchoͤn Sommer iſt heut, Es klingt und leuchtet und duftet! Ein jedes atmet, ein jedes genießt, Es fragen nur alle, wo du noch biſt. Dein Teil iſt ja da, dein Teil iſt voran, So nimm ihn, greif zu, du Arbeitsmann! Schoͤn Sommer iſt jetzt, ſchoͤn Sommer iſt jetzt! Der Schmetterling tanzt in den Luͤften, Der koͤſtliche Silberregen ſpruͤht, Es funkeln die Berge, von Golde umgluͤht, Es wogt von wonnigen Duͤften. Und lieblich erſchallen Schaͤferſchalmei'n, Der Hirt ruft die Hirtin zum Stelldichein, Die heilige Zeit iſt erſchienen. Nun raſch ein Ziel der Arbeit geſetzt! Dan / ZN 408 PR N Schön Sommer iſt jetzt, ſchoͤn Sommer ift jetzt. Ein Weilchen laß ruhn die Maſchinen! Du haſt ſo lang und ſo bitter geſchafft, So töricht verbraucht deine eiſerne Kraft, — Nun trink aus dem Becher der Freude — doch ſchnell! Lern' endlich, was Leben heißt, blaſſer Geſell! Schoͤn Sommer iſt da, ſchoͤn Sommer iſt da! Hab's lange genug nun geſungen! Bald, bald iſt voruͤber auch meine Zeit, Vom kahlen Zweige die Kraͤhe ſchreit, Und das heilige Lied iſt verklungen. Noch ſing' ich dir, Freund, vom bluͤhenden Baum, Von Freiheit und Liebe den goldenen Traum, Da ſollſt du nicht laͤnger dich ſtraͤuben! Noch leuchtet und duftet es fern und nah, Schoͤn Sommer iſt da, ſchoͤn Sommer iſt da, — Doch wird es nicht immer ſo bleiben. Denn ſo wie du, den die Arbeit zermuͤrbt, Welkt endlich alles, verdirbt und ſtirbt: — Nur Augenblicke ſind Leben und Zeit — Verſehn den Moment, heißt verloren den Streit. N W \ — 2 DL ZT aa 7 \ KR. 2 0 oe % Ze NE RR) (A * 7 Das Lied der Not. Es keucht meine Bruſt, die ſchwache, Ich arbeite ſchweigend drauf los, Und ob ich todelend mich mache, Ich bruͤte nicht Haß und nicht Rache, — Das Weh nur im Herzen iſt groß. Al Ing) >. I? 2 — — J — D — — — — Die Augen, die muͤden, die kranken, Sie fuͤllen mit Traͤnen ſich jaͤh: Da draͤngen ſich haſtig zuſammen Die letzten verzweifelten Flammen, Das letzte gluͤhende Weh. N — Es gluͤhen und flammen die Wunden. Ich ſitze im dumpfen Loch Viel traͤge ſchleichende Stunden, Die Arbeit haͤlt mich gebunden Im eiſernen, zwaͤngenden Joch. Und bin ich endlich zu Hauſe, Nachdem ich mit Muͤh' und Not, Zerſchlagen, zermuͤrbt, zerbrochen, Heimſchleppte die muͤden Knochen, Dann fall' ich hin wie tot. Da, SS * <> 444. 4 22 > — 0407) J 4 V ; £ EL, EA 2) 2 . NEN N N N e n Bi r I N 2 114 WR X 2 4 N 2 N N N Mein krankes Weib liegt im Bette Und ſchlaͤfert den Kleinen ein. Sie ſummt ganz leiſe, leiſe Dem Kind eine Schlummerweiſe, Mein Huſten klingt heiſer darein. K/Y \> 5 Ich denk' mir — und moͤchte weinen: Wenn heut mich trifft der Tod, Was ſoll aus ihnen werden, Wen haben die Armen auf Erden, Wer ſchafft ihnen Bett und Brot? Die beiden, wo nehmen ſie morgen Auch nur das kleinſte Geld, Wer wird ihnen leihen und borgen, Wer ſchuͤtzt ſie vor Not und Sorgen, — Wer ſchert ſich um ſie in der Welt? Ich denke und denke — da faßt mich Der Schlummer ... Ein kurzes Gluͤck! ... Im Oſten lichtet' s ſich wieder, Ich ſchleppe die zitternden Glieder Zur dumpfen Werkſtatt zuruͤck. R De 9 2 NP IN Y Di 2 22 ED = = . er) \% Bi IN, 5 2 2 — ES Sy AT 2 . \ W JM X D xy TER ® NY N IS: >; — . ul am! An ein Mädchen. Wohin, wohin, mein ſchoͤnes Kind? Noch liegt die Welt in Nacht und ruht. O ſieh, ſo ſtill iſt's ringsherum, Die Straßen und Gaſſen ſtehen ſtumm, — Jetzt waͤr der Schlaf ſo ſuͤß und gut. Die Blumen ihre Koͤpfchen neigen Und traͤumen ... Alle Neſter ſchweigen Doch du — wo treibt dich hin der Wind, So fruͤh, ſo fruͤh, mein liebes Kind, Eh' noch der Tag erſchienen? „ . . Ich geh' verdienen.“ Wohin, wohin, mein ſchoͤnes Kind? Es iſt ſo oͤd und iſt ſo kalt. Schon liegt die Nacht auf Stadt und Feld, Und alles ruht, es ſchweigt die Welt, — Dein ſchwacher Fuß verirrt ſich bald. Und hat der Tag dir nicht gelacht, Was kann dir helfen denn die Nacht? Sie iſt doch taub und ſtumm und blind. Wohin ſo ſpaͤt, fo fpät, mein Kind, Zitternde Haſt in den Mienen? „. . Ich geh' verdienen.“ N i e ede I Bie Träne auf dem Eilen. nn 92 * V { u D 6 N Kia. 2 IR ann! ie 3 Dan; Bl ( * pP IN SINN A F — N — U 16 5 Z „ Se N Die Traͤne auf dem Eiſen. O, kalt iſt die Werkſtatt und finſter dazu! Ich buͤgle drauf los ohne Raſt und Ruh'. Mein Herz iſt ſchwach, ich aͤchz' und huſt', Kaum hebt ſich meine kranke Bruſt. Ich aͤchz' und huſt' und buͤgle drauf los, — Eine Traͤne faͤllt nieder, heiß und groß. Das Eiſen gluͤht, — die Traͤne mein, Sie brennt und brennt und ſickert nicht ein. All meine Kraft iſt laͤngſt verwandt, Das Eiſen entfaͤllt der zitternden Hand. Und doch — die Traͤne heiß und ſchwer, Die Traͤne, die Traͤne brennt mehr und mehr. „Ich frage dich, ſo tu' mir kund, Mein Kamerad in trauriger Stund', Sag' an, mein Freund in Not und Pein, Du Traͤne, was ſickerſt du nicht ein? Biſt du die letzte Traͤne, ſag', Die mir der Tag heut bringen mag? MI. E22 5 755 ein u iel andere Tränen ag’ i Pit; Wo Bei Da Es Traͤ Gar e Verzweiflung. O, darf man nicht ruhen, von Not und Plag', Von der Fronde befreit, einen einzigen Tag? Vergeſſen des Herren boͤſes Geſicht, Vergeſſen das harte Wort, das er ſpricht, Vergeſſen die Werkſtatt, das wuͤſte Geſchrei, Vergeſſen die Hetze, die Treiberei? „Vergeſſen und Ruhe? Ei Beſter, ich mein', Gehſt fruͤh genug zur Ruhe ein!“ Die Baͤume und Blumen verbluͤhen gar bald, Bald ſchweigt der letzte Vogel im Wald, Bald iſt ein Friedhof die ganze Natur — O, einmal moͤcht' ich, ach einmal nur Blumen mir pfluͤcken am Feldes rain Und ſaugen die ſuͤßen Duͤfte ein. „Aufs Feld verlangt's dich, wo's gruͤn iſt und hell? Getroſt, du kommſt ſchon hin, Geſell!“ Es ſchimmert der See im Silberglanz, Es gleiten die Wellen im lieblichen Tanz. Dort unterzutauchen muß Eöftlich fein, Friſchweg ins kühle Waſſer hinein! Ich bin von der Arbeit fo muͤd und wund, Das Waſſer machte mich wohl geſund. „Ei, baden im See? Welch Zeitvertreib! Wart doch, dir waſchen bald andre den Leib!“ n Die Werkſtatt iſt finſter und rauchig und klein — Wie ſollt' mein Gewand nicht ſchmutzig ſein? Im häßlichen Loch iſt mir Sauberkeit fremd. Und doch, wie lieb' ich ein weißes Hemd! Wie gerne mag ich die Bluſe rein, Mein Schurz ſollt' immer fleckenlos ſein! „Ein reines Gewand begehrſt du? Wie ſchnell Umhuͤllt dich ein weißes Linnen, Geſell!“ Wie prangt jetzt der Wald! Unterm ſchattigen Baum. Da traͤumt ſich wohl leicht ein gluͤcklicher Traum. Es fingen und fingen die Voͤgelein Und ſchlaͤfern mit ſuͤßen Liedern dich ein. Im Taumel der Werkſtatt, da glüht die Luft, — Ich lechze nach Kuͤhle und Waldesduft. „Ei, Kuͤhlung willſt du? Was ſoll dir der Wald? Gar bald, mein Beſter, biſt ſelber du kalt.“ Was iſt doch ein Freund fuͤr ein koͤſtliches Gut, Im Schmerz unſre Hoffnung, im Leid unſer Mut! Ein teuerer Freund verſuͤßt uns das Sein Und bringt erſt die Wuͤrze ins Leben hinein. Doch ich bin verwaiſt — auf der Straße ein Stein — Kein Bruder, kein Freund, — bin einer allein. „Zahlloſe Freunde am ſtillen Ort, Sie ruͤſten fi ſchon und erwarten dich dort.“. x 7 X A NW | E . EN N 2 UE 2 \ 7 AN 2 a A BR SA RN | 16 N) U S Der Geliebten. O ſei geſegnet, ſei gegruͤßt, Mein Gluͤck, mein Troſt, mein goldner Schein! Du kommſt zu mir, du moͤchteſt gern In meiner Werkſtatt bei mir ſein. Mein gutes Kind, du kommſt umſonſt, Die Werkſtatt iſt fuͤr dich kein Ort. Hier gluͤht die Luft, hier rauſcht der Laͤrm — Mein armes Kind, geh wieder fort! Ich darf dich, Liebſte, hier nicht ſehn Und darf dich nicht umarmen — nein! Verkauft iſt alles: Hand und Aug' Und Zeit und Kraft — nichts iſt hier mein. Wohl bin ich ohne dich wie tot, Und dennoch heiße ich dich gehn. Hier tobt der harte Kampf ums Brot: Wer nicht verhungern will, muß naͤhn. Komm ſpaͤter erſt, komm zu mir heim, Wenn laͤngſt begonnen hat die Nacht. Dann bin ich frei, dann bin ich dein, All meine Liebesglut erwacht. RN / 6 Ich leg' mein Haupt an deine Bruſt Und nehme deine Haͤnde ſacht, Und ſtill vertraue ich dir an, Was mir der Tag an Leid gebracht. Und meine Kuͤſſe haſt du dann Und meiner Traͤnen heiße Flut, — All mein Vermögen ſchenk ich dir, Mein edelſtes, mein groͤßtes Gut Mein ſchoͤnſtes Lied tritt vor dich hin Und gruͤßt dich traut mit holdem Blick Und jedes Wort, das du mir gibſt, Wird mir zum Klang und zur Muſik. Doch jetzt, Geliebte, mußt du gehn. Hier hat die Liebe keine Macht. Sieh, unſer Leben hebt erſt an, Wenn laͤngſt begonnen hat die Nacht. Ich hoͤr's und bin beim Bettchen ſchon: Es ſoll, es muß geſchehn? Mein Vaterherz iſt uͤbervoll: Es muß mein Kind mich fehn! . . . Und fteh’ bei feinem Bettlein dort Und ſeh und hör’ und — ahl Im Traum bewegt's die Lippen leis: „O, wo iſt, wo iſt Pa?“ Ich Ei? die blauen Augelein, Sie öffnen ſich — „Mein Kind!“ — Sie ſehen mich, ſie ſehen mich Und — ſchließen ſich geſchwind. „Da ſteht dein Pa, mein ſuͤßes Kind! Da nimm den Penny, da! ..“ Im Traum bewegt's die Lippen leis: „O, wo iſt, wo iſt Pa?“ Mir iſt ſo bitterweh zu Mut, So weh, — mein Herz wird ſchwer: „Mein Kind, mein Kind, einſt wachſt du auf Und findeſt Pa nicht mehr!“ Die Landitreicher. Armſelig Bettlervolk, das vor dem Richter ſteht! Armſelig Judenpack! Aus ihren Augen fleht Die Angſt des mitleidlos gehetzten Wildes. Schaut ſie euch an und ſchauert ob des Bildes! Sechs Menſchen von der grauſen Not zerbrochen, Der Vater ſterbenskrank, kaum mehr als Haut und Knochen, Die Mutter krank, und krank die armen Kleinen, Die, an der Mutter Rock geklammert, klaͤglich weinen, Wie ſie mit hartem Blick der Richter mißt! Was glaubt ihr wohl, das ihr Verbrechen iſt? Als Vagabunden ziehn ſie durch die Welt. Nicht eine einzige Kopeke Geld, Kein Heim, kein Bett — ſie haben nur allein Als Kiſſen fuͤr die Nacht den Straßenſtein. Wie ſie der Richter mißt mit hartem Blick! O, aus der Miene ahnen ſie ſchon ihr Geſchick! Sie konnten nur zu oft ſchon ſolch Geſicht ſtudieren, Sie kennen ſchon der Richter Worte und Manieren. Sie kennen auch die Strafe wegen Bettelei, Umherziehns in den Straßen und Landftreicherei. 23 W 22 Jawohl, 's ſind Vagabunden. Die Gerechtigkeit Treibt ſie von Dorf zu Stadt und treibt ſie nah und weit, Und treibt ſie krank und treibt ſie ins Verderben, Treibt fie herum und läßt fie doch nicht ſterben Die Mutter ſchweigt und rührt ſich nicht. Der Vater aber ſchleppt ſich vor und ſpricht: „Nicht wahr, Ihr werdet uns nicht weitertreiben? Seid gnaͤdig, Herr, und laßt uns hier verbleiben! Die Stadt iſt groß; ein freundliches Erbarmen Schenkt wohl manch' Stuͤckchen Brot den Armen, Und auch ein Lagerplaͤtzchen wird zu finden ſein. Und bin ich erſt geſund, dann ruͤhr' ich mich allein Und kann, wenn Gott mir hilft, in allen Ehren Durch meiner Haͤnde Kraft Weib, Kind und mich ernaͤhren. Darum — ſeid gnaͤdig, Herr! Und ſeid dafuͤr geſegnet!“ Der Richter blickt den Juden finſter an, da er entgegnet: „Wahrhaftig, alle ſchick' ich euch nicht fort. Ihr habt zu gehn mit Eurem Weib. Die Kinder dort, Die ſollen in der Stadt im Waiſenhaus verbleiben, Man wird ſofort fuͤr ſie den Platz verſchreiben.“ Der Vater iſt vor Schrecken ſtumm. Allein das Weib Faͤhrt jaͤh empor. Mit vorgeſtrecktem Leib Schreit ſie dem Richter zu: „Das wird nicht ſein! Du kannſt ſie mir nicht nehmen, ſie ſind mein! Das wird dir Gott im Himmel nie vergeben: Nimmſt du ſie mir, ſo nimm mir erſt das Leben! Mit meinem Herzblut hab' ich ſie geſaͤugt, Ich hab' mich uͤber ſie des Nachts gebeugt, Mit meinem Leib ſie vor dem Froſt gewahrt, Und meine Krume Brot hab' ich fuͤr ſie geſpart. Ich werd' auch weiter fuͤr ſie betteln — wie zuvor, Straßauf, ſtraßab und Tor fuͤr Tor. Ich will ja nichts, jag’ uns aus euren Gaſſen, Nur meine Kinder, Herr, mußt du mir laſſen!“ Der Richter winkt den Schergen, ſpricht kein Wort, Das Urteil iſt gefaͤllt, und er geht fort. Was ſchert's ihn, daß ein Mutterherz hier bricht? Fluch der Gerechtigkeit, die ſolches Urteil ſpricht! 2 44, . 2 22 — — 54 Was iſt die Melt? Und iſt die Welt eine Schlafſtaͤtte nur Und traumhaft all unſer Leben, Dann ſollen auch meine paar Jahre mir In holden Traͤumen verſchweben. Dann will ich den Schlaf des großen Herrn Statt meiner Naͤchte voll Zaͤhren, Dann ſollen mir Traͤume von Freiheit und Gluͤck Lieblich den Schlummer verklaͤren. Und iſt die Welt ein Ballfeſt nur, Wir aber find die Gaͤſte, Dann will auch ich meinen Platz im Saal Und will meinen Teil von dem Feſte. Auch ich kann verdauen ein gutes Stuͤck Und rechte Biſſen vertragen, Ich habe kein ſchlechteres Blut als die, Die guͤldene Ketten tragen. Und iſt ein bluͤhender Garten die Welt, Dann will ich auf ſchwellenden Matten Luſtwandeln und ruhen, wo's mir gefällt, Und nicht, wo's die Reichen geſtatten. 2 Will tragen von Blumen wohl einen Kranz — Ich mag mich mit Dornen nicht zieren — Dann ſoll auch mein Liebchen mit mir im Glanz Von Myrten und Lorbeern ſpazieren. Doch iſt die Welt ein Kampfplatz nur, Wo Starke und Schwaͤchere ſtreiten, Dann ſchert mich nicht Sturm, nicht Weib noch Kind, Dann ſeh' ich nicht vom weiten, — Dann ſtuͤrz' ich mich mitten ins Feuer ein Held, Und kaͤmpfe, ein Leu, fuͤr die Schwachen, Und trifft mich die Keule — und ſtreckt mich a ins Feld, Dann kann ich ſterbend noch lachen. 55 x Auf dem Totengarten. Die Nacht iſt ſtille. Es leuchtet der Mond, Es ſchimmern und blitzen die Sterne — Mich traͤgt der Traumgott durch Leben und Tod In mitternaͤchtige Ferne — — — Das iſt ein großes Leichenfeld: Da ruhen ſo Gute wie Schlechte, Begrabenes Gluͤck, begrabenes Leid, Der Herr ruht neben dem Knechte. Nur manchmal rauſcht ein Weidenbaum, Der Wind ſpielt in den Zweigen Sonſt weit im Feld kein Laut, kein Laut, Die Toten, die Toten, fie ſchweigen Viel hundert Graͤber, kalt und ſtumm. Ich ſtarr' ſie an beklommen. Viel hundert Gräber — fie ſcheiden ſich wohl — Von Armen, Reichen und Frommen Der Wind ftreicht übers Leichenfeld, Es raſcheln die Blätter und Blaͤttlein: „Eine heilige Ruh' in den Graͤbern euch, Eine heilige Ruh' in den Bettlein!“ Mich packt ein Schauder. Der Traumgott ſpricht: „Zur Rechten und Linken die Steine, N — — FFP I Betrachte die beiden Steine gut — Verſtehſt du, was ich meine?“ Ich ſchau' mir wohl die Graͤber an Mit Staunen und mit Bangen: Dies Grab iſt nackt und iſt ſo kahl, Auf jenem viel Blumen prangen. „Was iſt dies Grab ſo nackt und kahl?“ — Der Traumgott faͤhrt fort zu fragen — „Was prangen auf jenem der Blumen ſo viel? Hoͤr' wohl, ich will es dir ſagen: Der unterm Blumenhuͤgel ruht, Das war ein Leuteſchinder, Er hat gemartert und ausgeſaugt Die armen Arbeitskinder. Er trank dereinſt nur Arbeiterblut Und preßte die armen Sklaven, Das machte reich, das machte ſtark, Das machte fett den Braven. Und aus dem Saft und aus der Kraft, Die ſie fuͤr ihn verſpruͤhten, Da wuchſen die Blumen auf ſeinem Grab: Das ſind der Arbeiter Bluͤten. Die ſollten wohl bluͤhen hier auf dem Grab, Auf dem Arbeitergrabe, dem kahlen, Sie ſind gewachſen aus Arbeitermark, Aus Blut und Traͤnen und Qualen.“ Und heftiger weht der Wind übers Feld, Vernehmlich rauſcht's in den Zweigen: „Geſtohlen die Blumen hat jener dort, Dem Armen hier ſind ſie zu eigen!“ Und wilder und wilder weht der Wind, Und Sturm und Wetter kommen, Und aus dem Rauſchen und Brauſen droͤhnt's: „Bedankt euch dafuͤr bei den Frommen!“ Und ſieh — da klafft des Arbeiters Grab, Es ſchreit in Sturm und Wetter Der Tote: „Nicht nur die Blumen ſind mein, Mein ſind auch vom Sarge die Bretter, Und nicht nur die Bretter, das Leichentuch auch Iſt mein, ich kann es beſchwoͤren, Durch meine Arbeit hat er es nur — Mir, mir ſoll alles gehoͤren!“ Drauf ſchwingt er ſich hoch empor in die Luft. Es gellt ſein furchtbares Schelten, Er droht hinab mit geballter Fauſt: „Das ſollt ihr noch entgelten!“ — — — Vor Schreck erwach' ich aus meinem Traum, Noch hoͤr' ich's durchs naͤchtliche Schweigen: „Nicht nur die Blumen ſind mein, ſind mein, Nein, alles iſt mir zu eigen“. Lieder des Bolkes. — = — = — — — ß GR D En‘ St N 1 9 Br m MEN al Nein, nein, ich mag kein Gnadenleben Mir feig erbetteln im fremden Land. Noch ſchlingt um mich und meine Heimat Sich wunderſtark der Liebe Band. Noch leuchten auf die muͤden Augen, Denk' ich des Gluͤcks vergangner Zeit: Aus jeder Scholle ſog ich Frieden, Ich wußte nichts von Haß und Neid, Ich kannte nicht das grauſe Elend, Nicht hat die Not nach mir gezielt, — Am ſonnigen, lachenden Jordansufer Hab' ich geſungen, gejauchzt, geſpielt. Ich huͤtete friedlich meine Schafe, — Viel Traͤume zogen durchs fromme Gemuͤt — Jeruſchalajims ſchoͤnſte Blume Hat lieblich neben mir gebluͤht. Noch ſchlaͤgt mein Herz in ſtolzen Schlaͤgen, Denk' ich des Gluͤcks vergangner Zeit: Mir iſt, ich hör’ die Toten reden Von ferne her, fo weit, fo weit. Br X) — 64 — 1 Vertraute Stimmen hoͤr' ich wieder y Und hör fie rufen: Komm zurück! — Da glimmt, da flammt empor im Herzen Die Hoffnung auf ein neues Gluͤck: Sieh! Saron bluͤht, es gruͤnt der Karmel, Vom Libanon gruͤßt junger Schnee; Durch weiche Luͤfte ziehen Lieder Und alles lebt, ſo ſchoͤn wie je. So traͤum' ich ... Träume? Nein, ich ſchwoͤr' es: Solang mein Arm ſich ruͤhren kann, Nehm' ich von dem, der mich verachtet, Auch nicht das kleinſte Plaͤtzchen an. Nein, nein, ich mag kein Gnadenleben Mir feig erbetteln im fremden Land; Noch ſchlingt um mich und meine Heimat Sich wunderſtark der Liebe Band. — * ED KON Das Volk des Herrn. Bekuͤmmert und voll Zweifels bleib' ich ſtehn: Hier fuͤhrt der eine Weg und dort der andre. Von oben hör’ ich eine Stimme ſchallen: „Wandre!“ — „Wie du befiehlſt, mein Herr — doch wo, wo ſoll ich gehn? Ich weiß nicht, welcher Weg mich fuͤhrt dahin, Wo endlich meine Sonne hell wird ſcheinen, Wo ſich in Liebe die Getreuen alle einen, Ich weiß nicht, welcher Weg mich fuͤhrt dahin. Es klopft mein Herz, ich bin ſo zweifelsbang. Kaum trag' ich mehr die Faͤhrnis und Beſchwerde, Kaum hebt mein wandermuͤder Fuß ſich von der Erde, Und beide Wege kuͤnden ſchweren Gang.“. Doch: „Wandre!“ ruft's. Da hab' ich mich ermannt: „Geh' ich zum Ziel? Werd' ich im Wege irren? So magft du, Vater, denn die Pfade mir entwirren — Ich gebe mich, mein Gott, in deine Hand. Du fuͤhrteſt mich dereinſt durch Meeresflut Und bahnteſt mir durch Wuͤſteneien Straßen, 65 N Du wirft auch jetzt mich nicht am Wege fterben laſſen, Du nimmſt den Wanderer in deine Hut. Und ſo, mein Gott, getreu dir zugewandt, Nehm' ich getroſt den alten Wanderſtecken. Und moͤgen Stein und Dorn die Wege mir bedecken, Mein Herr und Gott, ich bin in deiner Hand.“ — 8 >» * . 1 N \ [ZZ RENTEN E = 2 N EAN 2 1 x an mn y * N TI > Das Meſſen der Gräber. Seht — voraus die alte Mine Und dahinter humpelt Peſſie. Mine weint und ſagt die Spruͤche, Peſſie aber ſpannt die Schnur. Und es fallen aufs Gebetbuch Große, ſtille, heiße Traͤnen — Fluͤſternd, zitternd, kaum vernehmlich, Tiefbeklommen betet Mine: „Starker Herr du aller Welten! Deine Dienſtmagd, ſchwach und arm, Mißt die ruhigen Gezelte, Der Gerechten ſtille Graͤber. All die ſtillen Grabeshuͤgel Meß ich, guter Gott, zur Stunde, Wo da rufen deine frommen, Deine heißgeliebten Kinder, m N — — Meifen der Gräber = eine in Polen und Litauen herrſchende alte jüͤdiſche Sitte. Frauen, denen ein Familienmitglied oder ſonſt ein Naheſtehender erkrankt iſt, „meſſen“ mit einem zo die Gräber der Frommen. Diefer Faden wird dann als Docht fuͤr Kerzen verwendet, die ſie der Synagoge oder dem Bethaus ihres Ortes ſpenden. Nee Q nyr,; nen * 4 Be 74 5 | ANZ J Ge N 8 IR SE SAD TS 7 DAN [7 \ Zu AR 2 8 1 4 D * *. ala Ha 8 0 N a * 2. .. . 2 A AS r 70 * ) Die vor deinem Thron dort oben dr Ihre ſchoͤnſten Lieder fingen, Ss Jeder Lieder feiner Heimat, ar] Die er ſingt im ew'gen Traum. KA N Und vom Garn, das jetzt gelegt wird, 4 Wird in Ehrfurcht und Ergebung Deine Peſſie Lichter machen: Um zu lernen deine Lehre, N Dich zu bitten um Erbarmen, 5 Daß du endlich ſollſt erſchauen * Jakobs Traͤnen und erhoͤren * Judas ſchmerzensheißes Beten. . j 4 og 9 0 2 — . 2 oo, 2 9 f 0 22 2 — . — —— — — — 2 NN 2 \ E —ñ — — 7 | zZ Fr & Ö) id \ ur — 5 \ N N * N WE ——— BEN — e SH N 5 \ A v 0 — 2 ) >‘ U SZ N N Der hoͤlliſche Sturm raſt uͤbers Meer. Hoiho! Wie er nach Beute lechzt! Ein Schiff! Drauf los! Doch das ſetzt ſich zur Wehr, Es biegt ſich und baͤumt ſich und ſtoͤhnt und aͤchzt. Es krachen die Maſten, wild flattern die Segel, — Jetzt fliegt es vorbei an dem toͤdlichen Riff — Sie kaͤmpfen und ſtreiten und raufen und ringen Auf Leben und Tod, der Sturm und das Schiff. 8 N Jetzt muß es ſich ducken, jetzt muß es ſich ſtellen, Jetzt treibt es zuruͤck, jetzt treibt es voraus, Jetzt iſt es nur noch ein Spielzeug der Wellen, Die Waſſer verſchlingen's und ſpeien es aus. Zn 233257" Es brauſt die See, auffliegen die Wogen, Es dampft und kocht und ſiedet der Grund, Blut will der hoͤlliſche Sturm, der Moͤrder, Ein grauſiger Abgrund reißt auf ſeinen Schlund. . I) ET) — — — Da hoͤrt man ein Jammern, ein Schreien und Weinen. — Entſetzlich die Angſt und ſchaurig die Not — Jedwedes betet zu ſeinem Gotte: „Rette uns, rette uns, Herr, vor dem Tod!“ er. * — Ae . 2 e e D 5 \ äQı; r ( S Da wimmern die Kleinen und klagen die Weiber, Und alles bekennt voll Reu' ſeine Schuld. Es flattern die Seelen, es zittern die Leiber: „Erbarme dich unſer in deiner Huld!“ Dort unten, im Zwiſchendeck, nebeneinander Sitzen zwei Maͤnner, ruhig und ſtumm. Sie ſinnen nicht Rettung, ſie falten die Haͤnde, Als waͤr' es friedlich und heiter ringsum. Es bruͤllt die See, auffliegen die Wogen, Der Sturmwind haͤlt heulend ſein Schreckensgericht, Es ſchnaubt der Keſſel, es ziſcht im Kamine; Sie ſchweigen und ſchweigen und ruͤhren ſich nicht. Sie ſchauen dem Tode furchtlos ins Auge, Sie ruͤhrt nicht des Sturmes teufliſche Macht, Es iſt, als haͤtte das Grab ſie geboren In ſchreckensharter, finſterer Nacht. „Wer ſeid ihr, ſagt? Wer ſeid ihr, ihr Armen, Die ſchweigen koͤnnen in qualvollſter Not, Die keine Traͤne, kein Angſtwort finden, Indes ſeine Tore oͤffnet der Tod? Sagt, haben euch wirklich Graͤber geboren, Habt ihr nicht Eltern, Weib und Kind, Nicht einen, dem um euretwillen Eine Traͤne aus dem Auge rinnt? (CM 3 Und habt ihr nicht ein Stuͤckchen Heimat, Kein freundliches Stuͤbchen im Vaterhaus, Daß ihr das Leben ſchweigend verachtet Und ſchweigend anſtarrt den Todesgraus? Habt ihr denn keinen im Himmel droben, Zu dem ihr betet in Not und Gefahr, Kein Land, kein Volk, zu dem ihr gehoͤret, Kein Haus, keinen Herd und keinen Altar?“ Tief gaͤhnt der Abgrund, auffliegen die Wogen, Es krachen die Balken, die Leiter bricht, Es bruͤllt die See, es heulen die Winde, — Und einer von den zweien ſpricht: „Uns hat nicht der ſchwarze Friedhof geboren, Und unſre Wiege war nicht das Grab, Uns ſchenkte ein guter Engel das Leben, Und Liebe und Treue uns zaͤrtlich umgab. Eine teure Mutter hat uns erzogen Und hat uns voll Liebe ans Herz gedruͤckt, Uns kuͤßte und koſte ein guͤtiger Vater Und hat uns voll Luſt in die Augen geblickt. Wir hatten ein Haus — doch das Haus iſt zerbrochen, und unſer Heiligſtes hat man verbrannt, Das Liebſte und Beſte — verwandelt in Knochen, Die Letzten grauſam gejagt aus dem Land. 5 = . 5 N \ HZ — all Zen | ie) NE ey, 2 S7 = \ KR \ O, unſer Land, es läßt ſich erkennen: Die Spuren ſind da von Elend und Not, Von wilden Hetzen, von Sengen und Brennen, Von Judenverfolgung und Judentod, DD 2 K7 Und wir find Juden, armfelige Juden, Ohne Freund, ohne Freud', ohne Hoffnung auf Gluͤck, Fragt uns nicht mehr! — Doch wollt ihr es wiſſen: Amerika treibt uns nach Rußland zuruͤck. DD — > 8 — 2 — Es treibt uns dahin, woher wir geflohen — Wir ſind ja nur Juden und haben kein Geld! — Doch nun, was ſollen wir noch erhoffen? Was ſoll uns das Leben, was ſoll uns die Welt? — — — 2 er 2 — — j g 2 \ * ZT Ihr habt wohl Grund zum Weinen und Beten Und moͤgt euch entſetzen vor jaͤhem Tod, Habt alle ein Heim, darinnen zu wohnen, Euch jagt uͤbers Meer nicht die grauſame Not. n — Den 72 2 N Doch wir ſind verloren, verlaſſen wie Steine, Die Erde gibt uns kein Fleckchen frei, Wir fahren. Doch keiner erwartet uns druͤben, Vielleicht wiſſet ihr, wohin fahren wir zwei? N 22 D To I Mag's brauſen und brüllen und ſieden und kochen, Mag’s ſtuͤrmen und ſtuͤrzen um uns her, Wir ſind verlorne, verlaſſene Juden — Unſere brennende Wunde loͤſcht nur das Meer.“ Fri * i . A 7 \ | Nun ſtimm dich zur Luft, meine Leier, und lache! Umſonſt! — Das Lachen gelingt dir ſchlecht! Ei freilich! Wir haben ja jetzt Sephirah, Und dann — wie lacht denn ein Jude, ſprecht! Du lachſt, mein Vater? Welch ſchauriges Lachen! Wo gaͤb's auch echte juͤdiſche Luſt? So herb und weh iſt juͤdiſches Lachen, Als waͤr' es ein Seufzen aus tiefſter Bruſt. Iſt juͤdiſches Leben denn auch ein Leben? Da iſt nicht Gluͤck, nicht Schimmer und Schein — Am Himmel ſilberne Woͤlkchen ſchweben, Es bluͤhen die Felder, — du ſitz' und wein'! Es leuchten die Berge, es duften die Wieſen, Friſch weht der Lenzwind mit frohem Geſaus. Was ſchert's dich, Jude? Du haſt doch Sephirah, Du ſitz in der Kammer und wein' dich dort aus! Sephirah = die fieben Trauerwochen zwiſchen Paſſah⸗ und Scabuothfeft, an die fich manche traurige Erinnerungen der jüdifchen Geſchichte knuͤpfen, u. a. die Judenmetzeleien der Kreuzfahrer i. J. 1096. - Q Nur Klagen und Schmerzen und Seufzer und Tränen. So zieht der wonnige Sommer vorbei. Kann er dir, Jude, ein Hoffen ſchenken? Dich troͤſtet kein Sommer und troͤſtet kein Mai. Dem Bettler, dem wegemuͤden Geſellen, Der kaum ein Plaͤtzchen hat fuͤr die Nacht, Dem jeder barſch verweiſt ſeine Schwelle — Was iſt ihm Blumen⸗ und Bluͤtenpracht? — — Ei horch! Ein Jude ſingt mit dem andern. Das gibt ein Lied der Freude zum Hohn! Ihr hoͤrt nur die ewige Weiſe vom Wandern, Ihr hoͤret den Juden aus jedem Ton: Ein juͤdiſches Lied! Hoͤrt's einer ſingen, Den noch zu ruͤhren vermag Geſang, Dann bebt ſein Leib, es fliegt ſein Atem, Aufſchluchzen muß er bei jedem Klang. — — Bußpſalmen und Klage und Sterbelieder, Sie ſind des Juden vertraute Muſik, Seit er mit ſeinem heiligen Lande Die Freude verlor und verlor das Gluͤck. Der ſtuͤrzende Tempel begrub ſeine Spiele, Die Jubellieder begrub der Altar — Der „Schofar“ allein iſt dem Juden geblieben, Das finſtere Horn toͤnt einmal im Jahr. Der gellende, bebende, ftöhnende Schofar Iſt jetzt das juͤdiſche Inſtrument. Eine Bruſt von Stahl zerſchmettert ſein Gellen, Sein Beben iſt Glut, die das Herz verbrennt. Das finſtere, kalte Horn iſt geblieben. Poſaunen und Pauken liegen im Staub, Floͤten und Zimbeln, Gitarren und Harfen Wurden der Wut der Zerſtoͤrer zum Raub. Und will jetzt ein Jude froh ſein und lachen Und ſingen ein Lied voll Luſt und Scherz, Da hört man ploͤtzlich im Lied erwachen Zitternde „Kinnoth“ — ein Riß geht durchs Herz. Ich wollt', meine Leier, du ſollteſt heut lachen. Umſonſt! — Das Lachen gelingt dir ſchlecht! Ei freilich! Wir haben ja jetzt Sephirah, Und dann — wie lacht denn ein Jude, ſprecht! W N 2222 7 NN 80 Jomkipur Abend. Die Trauer liegt uͤberm Gotteshaus; Die Seelenlichter gehen ſchon aus; Die Beter ſind muͤde und matt und blaß, Der Saͤnger iſt heiſer und ſchwach der Baß; Vom Chor die Jungen lechzen nach Ruh'; Zehn Verſe noch — und das Gebetbuch iſt zu. Jetzt endigt jedweder Jud' ſein Gebet, Bald iſt es Nileh, der Feſttag vergeht. Nun hallt es und ſchallt es: „Leſchanah Habah'“, Der Tempel iſt leer, — 's iſt keiner mehr da. Ich ſteh' beim Altar und denke bei mir: Und was iſt nachher, wenn geſchloſſen die Tuͤr? . „Jomkipur“ = Verſoͤhnungs⸗, zugleich Faſttag. „Leſchanah Habah“ (hebraͤiſch) = „Im naͤchſten Jahre“ ... ergaͤnze: „in Jeruſalem“. „Nileh“ = Schlußgebet, Ausgang des Jomkipur. — un 7 = 5 2 * EN N 4 2 Chanukka⸗Lichter. O, ihr lieben Lichtelein, Euer freundlich⸗ſtiller Schein Spricht gar mancherlei. Spricht von kuͤhnem Heldenmut, Kampf und Tod und Heldenblut, — Wunder laͤngſt vorbei! Sieh! Bei eurem flimmernden Schein Tritt ein Traum, ein ſchimmernder, ein, Und der Traum erzaͤhlt: Jude, warſt ein Krieger einſt, Jude, warſt ein Sieger einſt, Stolz und kraftgeſtaͤhlt! Auserwaͤhlt war dein Geſchlecht, Hatteſt dein Gebot, dein Recht, Lebteſt groß und frei, Hatteſt einſt ein eigen Land, Herrſchteſt drin mit ſtarker Hand, — Wunder laͤngſt vorbei! Das Chanukkafeſt wird zur Erinnerung an die Makkabäer, die größten juͤdiſchen Nationalhelden, gefeiert. An dieſem Feſte werden allabendlich kleine Lichter entzuͤndet. . 2 I LITE GE SL S 27 2 8 a LM | | TINTE O, ihr lieben Lichtelein, Euer freundlich⸗ſtiller Schein Weckt den alten Schmerz: Einſt und jetzt! So klage ich, Einſt und jetzt! So frag' ich mich, Und es weint mein Herz. Wir waren nicht immer das Volk, das weint, Das Volk der Traͤnen, der Seufzer und Klagen, Wir haben einſtmals den ſtaͤrkſten Feind Gelehrt: Auch Juden koͤnnen ſchlagen. Wir haben der wuͤtendſten Haſſer gelacht, Und fuͤr den Glauben großer Ahnen Wir gingen mutvoll in die Schlacht, Und ſiegreich wehten unſere Fahnen. Geſchlechter ſchwanden im Zeitengewuͤhl, Geſchlechter wurden neu geboren, Wir aber haben das Heldengefuͤhl Im Drang der Golusnot verloren. Verloren den alten Rieſenmut Und wurden zager, ſtiller, ſcheuer, Und doch, noch brennt in unſerm Blut Das alte Hasmondͤerfeuer. Man hat uns gehetzt in Not und Tod, Mit groben Flegeln den Leib uns zerdroſchen, Und doch, das alte Feuer loht Und iſt im Blutmeer nicht erloſchen. Wir duldeten Martern wohl ſonder Zahl, — Die ſchwachen Koͤrper mußten erliegen, — Doch lebt in uns ein Ideal, Das, Voͤlker, koͤnnt ihr nie beſiegen. en > N N. N N x Der Mamſer. Kein Kind will mit mir gehen, mit mir ſpielen, Der Lehrer moͤchte mich durchbohren mit den Blicken, Kein Herz, das mir ein Stückchen Liebe braͤchte, Die Beſten wollten gerne mich erſticken. Vom Segensbecher, dran die Kinder alle nippen, Jagt mich mit wildem Fluch der Diener. Wehe! Ich darf der heil'gen Lade mich nicht nahen, Ich bin ein „Mamſer“, und verflucht iſt meine Naͤhe. Man traͤgt die Thora um. Ein jeder kuͤßt ſie, Und alle neigen ſich, da ſie den Segen ſprechen. Ich beug' mich vor, — man blickt auf mich — ich zittre — Und — kehr' mich ab. Das Herz will mir zerbrechen. Ich denk und quaͤl' mich krank: Was iſt ein „Mamſer“? Was tat ich, ſagt? Wes koͤnnt ihr mich verklagen? Und frag' ich meine Mutter, hebt ſie an zu weinen Und kuͤßt mich heiß und will es mir nicht ſagen. „Mamſer“ = Uneheliches Kind, Baſtard. 7 \ AN Dir Für andre Kinder kann ein Vater reden, Und fuͤr das Waiſenkind ſpricht die Gemeinde. Nur ich bin ohne Schutz. Ein ſchwaches Weib nur liebt mich, Sonſt hab' ich Haſſer bloß und mitleidsloſe Feinde. Wo iſt mein Vater? Wehe dem Verſtoßnen? Vergebens heiſch' ich Antwort auf mein Fragen. Iſt er im Himmel, ſagt? Und wenn er tot iſt, Was darf ich nach dem Toten nicht Gebete ſagen? Ich frag' den Wind. Die Welt iſt ſtumm zu meinen Schmerzen. Kein Wort nimmt ſeinen Weg zu dem, den alle meiden. Die Wahrheit hör’ ich nur bei mir tief drin im Herzen: „Biſt ſchuldlos, ſchuldlos, — und mußt dennoch leiden! Wale Kiduſch Lewanah. Viel zarte Silberwolken ſchweben Im blauen Himmelsmeer herum. Die Sterne funkeln, die Sterne leben, Der Mond allein iſt bleich und ſtumm. Es ruht der Wald in heil'gem Schweigen. Die Baͤume ſtehen wie im Traum, Kein Wind ſtreicht durch die weiten Wipfel. Die Erde ſchlaͤft und atmet kaum. Im tiefen Wald allein, gleich Schatten, Stehn dort ein Jude und ſein Kind. Der Alte fleht zum Herrn der Welten, Andaͤchtig⸗ſtille lauſcht das Kind. „O Gott, ich bitte dich mit Traͤnen, Erhoͤr mein zitterndes Gebet, Es ſoll ſein Glanz verdoppelt werden, Wie's war und wie's geſchrieben ſteht: PR 2 NSS 7 N N > MI / 0 N N ‚Es ſchuf der Herr zwei große Leuchten‘ — Nun ſieh des Mondes armes Licht! O Herr, laß wieder flammend ſtrahlen Sein ſterbensbleiches Angeſicht! ...“ Wie er mit wehmutvoller Stimme Und voll der tiefſten Inbrunſt fleht! Weit, weit im Wald verzittert langſam Und ſtirbt das klagende Gebet. Das Kind ſieht auf zum reinen Himmel ... Wie kommt's, daß in dem blauen Raum So viele Sterne hell erglaͤnzen Und andre ſchimmern, flimmern kaum? Und lang betrachtet es die Sterne. Und endlich fragt es — faſt verzagt: „Sag, Vater, darf man denn auch glauben, Was man mir einmal hat geſagt? Man hat geſagt, der Stern des Reichen Iſt groß und immer hell im Glanz, Doch winzig⸗klein der Stern des Armen, Er flimmert und erliſcht bald ganz. Sag, gibt's auch oben Unterſchiede, Und ſind nicht alle Sterne gleich? Gibt's auch dort oben Freud' und Jammer Und Gluͤck und Elend, — Arm und Reich? TREO ® e 1 N/A RN 67 Sieh doch nur jenen kleinen Das iſt gewiß der unſre, ſag? Wir zittern auch wie er, und trau Wie ſeine Nacht iſt unſer Tag. Kann er vielleicht noch einmal funkel Wie dieſe da in goldner Pracht? Sag, — oder wird er ganz erloͤſch Und ewig deckt ihn zu die Nacht? Der i u imme Er nd fi Es Do ommen MR ee N | 0 b \ 77 1 A ZA 100 KISS NSG Ar 4 | 2 N % N Laubhuͤttenfeſt vorbei. Der Feſttag vorbei. Was iſt das Gebetbuch ſo ſchwer? Von Tränen find die Blätter ſchwer .. Zerbrochen, zerſchlagen die gruͤne Huͤtte, Der Esrog verwelkt, verdorrt das Laub, Der Palmzweig bleich, wie ein Toter ſo bleich, Zertreten am Boden Die Weidenaͤſte. Zertreten am Boden. Das iſt, mein Freund, Dein Wuͤnſchen und Hoffen. Da liegen verwelkt die ſuͤßen Traͤume, Da ſind zertreten die ſchoͤnen Freuden, Da iſt geſtorben das Gluͤck. Das iſt deine Liebe, Das iſt dein Sehnen, Das iſt, mein Freund, Deines Lebens ein Bild. 5 71 2 0 10 DN N 7 00 M 1 ö N | N: N \ * N US \ 1 IA; 2 \ ® 0 %) * 0 0 4 7 Fi \ N 2 — U | NAT VUN 16 NEN ur ex PN 2 .. Mu NUM . 0 iv I. Pe hide e N IM l 15 — = \ Lulien Der jüdische Mai. Wieder ift der Mai gekommen, Kam mit ſeiner Zauberpracht — Alle Graͤſer, alle Blumen Sind nun wieder aufgewacht. Wieder bluͤht es auf den Feldern, Wieder gruͤnt es in den Waͤldern, Wieder glaͤnzt es uͤberall, Wieder ſingt die Nachtigall. Wieder malt der Maler Frühling. Wie er ſeinen Pinſel fuͤhrt, Werden Berge, werden Taͤler Neu mit jungem Gruͤn geziert. Und die Sonne ſtrahlt hernieder, Kuͤßt die Erde, kuͤßt fie wieder, Und mit ſuͤßen Schmeichelein Laͤdt ſie zum Genießen ein. * * F * Wie's da gleich in allen Herzen Fruͤhling werden will! Wunderſchoͤne Phantaſien | Z NEN I eee — SN | 4 — V EN N — (I ZZU 7 \ D — II; N IR I Nez SA ID 0 2 X I, N SIT * e NS nee) x 0 9 r LG Ziehen durch die Seelen ftill. Goldne Traͤume ſchweben Und ſie weben Neue Himmel, Und ſie wecken Neues Leben, Und mit gabenfrohen Haͤnden Tauſendfache Luſt zu ſpenden, Kommt das Gluͤck .. * * * Aber ſeht, dort wandelt einer, Mitten durch die Maienluſt Geht er ſtill, geſenkten Hauptes, Und er ſeufzt aus tiefſter Bruſt. Einſam, mit dem ſchwerſten Kummer Geht er, lebensmatt und muͤd, All ſein Mai und all ſein Fruͤhling Sind ſchon laͤngſt, ſchon laͤngſt verbluͤht .. Sagt mir, kennt ihr jenen Kranken, Der da geht, wo alles bluͤht, Mit den ſchrecklichſten Gedanken In dem traurigſten Gemuͤt? Wer das iſt, ihr wißt es gut: Unfer Alter, unſer Jud Ihn umſchwebt Kein Lenzeszauber, RE Zu > Men” 5 V = > Es erbebt Sein Herz vor Qual, Und es glänzt kein Hoffnungsſtrahl Aus dem Blick. Schwere, nie vernarbte Wunden Sind die Zeugen boͤſer Stunden. Wohin die Gedanken reichen, Tod und Sterben, Leichen, Leichen — —, Alte Jugend, totes Gluͤck . Zweig und Dorn und Blatt und Blüte Treiben mit ihm boͤſen Spaß, Jede Blume blickt veraͤchtlich, Jeder Vogel ruft voll Haß: Fruͤhlingsluſt und Fruͤhlingsfreude — Doch fuͤr ihn iſt nichts dabei! Fremde Voͤgel, fremde Goͤtter, Fremde Welt — ein fremder Mai... * * * Lacht nicht, Blumen, nur nicht ſpotten! Die ihr gluͤht vom Fruͤhlingskuß, Glaubt, viel ſchoͤnere zertreten Hat einmal des Juden Fuß... Felder goldner Pomeranzen Glaͤnzten einſt in ſeinem Land Seine wunderſchoͤnen Pflanzen Pflanzte Gott mit eigner Hand. ZEIT ZN LAN 7 Fragt vom Libanon die Zedern, Sarons Myrten fragt im Tal, Ob ſie ihn nicht noch erkennen, Der ihr Herrſcher war einmal. Fragt den ſchoͤnen heil'gen Olberg, Fragt den Karmel, jeden Baum, Fraget all die tote Schoͤnheit Nach dem alten ſchoͤnen Traum ... Wuͤrzige Paradieſesluͤfte Wehten einſt durchs heilige Land, Und in ſeinem ſtolzen Tempel Hat ſein Gott ſich ihm bekannt. Tauſend ſelige Engel ſpielten In dem goͤttlichen Gezelt, Und er fuͤhlte tauſend Freuden, Freuden einer andern Welt. Dort beim ſchoͤnſten Saitenſpiele Sang der Jude wunderviele, Sang er wunderreiche Lieder, Wie ſie nie erklingen wieder In ſo reinem, hellem Sange, Mit fo zauberſuͤßem Klange — — — Ach, an ſtumme Weidenbaͤume Haͤngte Juda feine Träume... N == \ zZ ö 5 W Laͤngſt vorbei! — Doch ſieh, welch Wunder! Neue Traͤume ziehn herbei: Hoͤrſt du, Jude? „Gluͤck und Frieden!“ ü Ruft dir zu ein neuer Mai. Wein’ nicht! Biſt noch nicht verloren, Wegemuͤder Wandrer du, Neue Jahre, gute Jahre, Winken dir, mein Jude, zu! Hoͤrſt du, wie's durch Wolken zieht? Himmliſch⸗ſchoͤne Melodien, Suͤße Cherubs⸗Harmonien, Hoͤrſt du es, das neue Lied? W W Wieder wird dein Esrog gruͤnen, Deine Myrten werden bluͤhn, Wieder wird dein Land erwachen, Und dein Gott, er bringt dich hin. Wieder klingen Hirtenlieder, Und dein Weinberg dehnt ſich weit, Leben wirſt du, leben wieder, Fort in alle Ewigkeit. Nach den boͤſen Wandertagen Wird das Leben dir zur Luſt, Unterm ſtillen Berg Moria Atmet frei die Heldenbruſt . Und beſchloſſen iſt das Elend Und beendet Leid und Qual, Wirſt in deinem Heim verbleiben, Frei und friedlich wie einmal. Auf, betritt nur kuͤhn die Pfade In dein altes Heimatland! Manch ein Feuerfunke gluͤht noch In der eingefall'nen Wand. | 1222”. . A = WAL / — u | ‚ 1} N Dy | Sul) Lieder des Lebens. O il h 80855 * » 4 1 N. en xv 105 Blumen im Herbſt. Ihr ſchoͤnſten Kinder des Lebens, voll Anmut und voll Duft, Blumen, ihr ſonnengekuͤßten, gewoben aus Strahl und Luft, Ihr holdeſten, liebſten Gaͤſte, die ſich der Fruͤhling geladen, Der Liebe einzig⸗traute Geſpielen und Kameraden — Ihr bluͤhet wohl für jeden, der reich vom Glück beſchenkt iſt, Fremd aber iſt euch der, der von der Not bedraͤngt iſt. Wen ſchon des Zufalls Haͤnde laͤngſt geſegnet hatten, Den lacht ihr lieblich an, den Reichen, Frohen, Satten. Siehe, des Himmels Blau beſtrahlt ihn und beglaͤnzt ihn, Dann naht ihr, Blumen, euch und ſchmuͤcket und bekraͤnzt ihn. Fremd aber iſt euch der, der beugen muß den Ruͤcken, Und der ſich kruͤmmt, wo hart des Lebens Laſten druͤcken. Dort, wo im falſchen Kleid der Sittſamkeit und Reinheit Die Protzen⸗Prunkſucht dient den Luͤſten der Gemeinheit, Dort ſingt man beim Klavier von euch: Die Herren klatſchen, Und aufgeputzte Frauen froh in die Haͤndchen patſchen, Dort glaͤnzt ihr auf der Bruſt der ſtolzen, eitlen Schoͤnen, Ihr müßt des Übermuts geſchliffnen Spiegel kroͤnen — — Drum ruͤhrt es mich jetzt nicht, wenn ihr euch jaͤh entfaͤrbet Und unterm Hauch des Herbſtes verwelket und verderbet. Mir habt ihr nie gebluͤht, nie Duft mir zugefaͤchelt, Habt mir in meinem Weh nie troͤſtend zugelaͤchelt. Freind war ich, Blumen, euch, fremd ſeid ihr jetzt auch mir. Kein Traͤnlein wein' ich nach: Stirb hin du ſchoͤne Zier! N d EX, DE 8 72 92 IND 25 22 * 252 ER e. Re 2 . * In der Wildnis. Es ſingt in weiter Wildnis Ein einſamer Vogel ſein Lied. Die aͤngſtlichen Augen irren Durchs endlos⸗wuͤſte Gebiet. Seine himmliſch⸗ſuͤße Stimme, Die fließt wie Gold ſo rein. Er ruft die oͤde Wildnis, Er ruft den kalten Stein, Er ruft die toten, ſtummen Felſen ringsherum, — Doch bleiben tot die Toten, Die Stummen bleiben ſtumm. „Wem weihſt du, ſuͤßer Saͤnger, Wohl deiner Lieder Klang? Wer hoͤrt dich? Wer verſteht dich? Wen ruͤhrt dein heller Sang? Es mag deine ganze Seele Einſtroͤmen in dein Lied, Kein Herz wirſt du erwecken Im harten, ſtarren Granit. = 107 Du wirſt nicht lange fingen. Mein armer Saͤnger, verſteh: Dein Herz wird dir zerſpringen Vor Elend und vor Weh. Umſonſt iſt all dein Muͤhen, Umſonſt dein ſuͤßes Flehn: Allein biſt du gekommen Und wirft allein vergehn “. — 9 +—+—ꝙ— n E Meine Jugend. Unter jene gruͤnen Baͤume, Meine Liebe komm mit mir! Dort erſchließ ich meine Seele Ganz und gar nur dir, Zeig' dir all die Heimlichkeiten Tief im Herzen drinnen, Siehſt die ewig⸗ſtillen Flammen Und mein großes Minnen. Und ich will dir auch erzaͤhlen All mein Herzeleid — Schoͤne, ſuͤße junge Jahre, Ach, wie ſeid ihr weit! Siehſt du, wie die Taͤnzer ſchweben? Heilige Muſik, Unſere Seelen werden weiter, — Sieh, das iſt das Gluͤck! Zaubertoͤne, wie ſie klingen! Tanzen! Raſch, du Suͤße! Eins, zwei, drei! Nur ſchnell, Geliebte, Heb' die Elfenfuͤße! Ei der Luſt! Ich fuͤhl's, das Leben Iſt voll Seligkeit! — Schöne, füße junge Jahre, Ach, wie ſeid ihr weit! Spiel ein Weilchen länger, Spielmann! Eil' doch nicht fo fehr!, Bin erſt recht im beſten Tanze, Und du willſt nicht mehr? Siehſt du nicht, wie herrlich Liebchen Strahlt im Blumenkranz? Nicht, wie wir uns gluͤcklich⸗laͤchelnd Drehn im Wirbeltanz? Schnell, Geliebte! Spielmanns Fiedel Klingt nur kurze Zeit — Schoͤne, ſuͤße junge Jahre, Ach, wie ſeid ihr weit! Wonnereiche junge Jahre, Wo iſt eure Glut? O du ſtolzer Strom der Traͤume, Wo iſt deine Flut? Und wo iſt mein ſuͤßes Liebchen, Wo der Blumenkranz, Wo der wunderholde Spielmann, Wo der Zaubertanz? Hör ich all die füßen Lieder Noch ein einzig Mal? Sagt, auf welchem Berg ſie wandern, Sagt, in welchem Tal? Kann ich nicht vom weiten ſenden Einen einzigen Blick, 5 7 4 N N 1 Einen Blick auf jene Zeiten, Jenes ſchoͤne Gluͤck? — — Narrenhoffnung, Narrenſehnſucht, Torentraͤumerei! Was einmal die Zeit verſchleppt hat, Traͤgt kein Menſchenwunſch herbei. e | 1 0 n TEE 2 \ N LER & N [ ce Die Erſchaffung des Menſchen. 42 r Ju oe = BER N V 4 ER { \ S 2 4 I 8 4 — 8. n — —— il >> IE Ni AN S N } — 5 l r = N 7 N U e I N INS Die Erſchaffung des Menſchen. Als einſt Gott, der Herr, geſchaffen Unſre wunderſchoͤne Welt, Hat er alles, wie's ihm gut ſchien, Ganz nach ſeiner Luſt beſtellt. Fragte keinen, hat ſich ſelber Seinen Weltenplan erdacht: Lang genug hat er geſchaffen, — Und er hat es gut gemacht. Als er aber kam zum Menſchen, Ging's nicht mehr ſo leicht und glatt, Mußte Gott erſt einberufen Den gefluͤgelten Senat: „Hoͤrt mich an, ihr meine Großen, Alle rief ich euch herbei. Euern Rat ſollt ihr mir kuͤnden, Wie der Menſch zu ſchaffen ſei. Aber Achtung, Himmelskinder! Dieſer Menſch mit Leib und Seel Sei nach unſerm Bild geſchaffen, Ohne Makel, ohne Fehl. 8 W 14 Nr IS S > Al N 1 80 I N 77 Le — INK Denn ich Eröne ihn zum Herrſcher. Meiner Flammen ſchenk' ich her inen Teil. Er ſoll regieren ber Erde, Luft und Meer. Fallen ſoll das Tier der Luͤfte Seiner Macht. Wenn's ihm behagt, Soll der Fiſch im Waſſer fallen Und der Loͤwe auf der Jagd!“ Da erſchraken Gottes Räte: „Dieſes Menſchlein — Schaum und Rauch — Wenn es ſoll die Luft beherrſchen, a Kommt's noch in den Himmel auch.“ Und ſie ſprachen alſo: „Mach' ihn, Herr, nach unſerm Angeſicht. Gib ihm Geiſt und gib ihm Staͤrke, Aber Fluͤgel gib ihm nicht. Nein, er darf nicht Fluͤgel haben, Fliegen wird er mit dem Schwert) Nicht betreten ſoll den Himmel, Wer da herrſchet auf der Erd'!“ Und Gott ſprach: „So ſoll's geſchehen. Euer Rat iſt klug und fein. Doch nicht alle Menſchenkinder Sollen ungeflügelt fein. N | Dem Poeten geb' ich Flügel. Ich verleih' ihm hoͤchſten Rang: Alle meine Himmel oͤffnen Will ich ihm und ſeinem Sang. Dich, mein Engel hier, erwaͤhl' ich: Sei bereit bei Tag und Nacht, Ihm die Fluͤgel anzuheften, Wenn fein heilig Lied erwacht“. — * N * Den „Weltverſchlingern“. Ein bißchen mehr, ein bißchen Enapper, Was haſcheſt du, du Schattenſchnapper? Was ſoll das tolle Gejage? Wenn alles, was du dir geſchafft haſt, Was du erjagt, erhaſcht, errafft haft, Dir jaͤh entſinkt am Sterbetage? Ein ſchwarzer Schnitter kommt zu gehen, Der kommt, vom Lebensfeld zu maͤhen So Dornen wie Blumenkronen. Du magſt dich wehren und empoͤren, Die Zeit befiehlt: Der Tod muß hoͤren, Und keinen darf er ſchonen. Dein Mut, dein Stolz, dein ſtarkes Gluͤck Verraten dich im Augenblick, Das gibt ein wildes Fluͤchten! Was ſind die Wangen bleich und heiß? Was iſt die Hand ſo kalt wie Eis? — Der Tod beginnt zu richten. Du rufſt um Hilf' und rufſt vergebens. Das iſt das Ende deines Lebens — Und was haſt du erworben? Wo iſt dein Gluͤck? Du armer Jaͤger! Es kommen finſtre Leichenträger — Ein Bettler iſt geſtorben. Ob viel, ob nichts, ob mehr, ob knapp — Ein Meiſter geht die Haͤuſer ab, Der öffnet alle Schloͤſſer. Und rafft zuſammen alles Gut Und wirft es in die dunkle Flut Tiefgruͤndiger Gewaͤſſer. 120 Die Freiheit. Ein Traum. Kein Auge mehr, das wacht. Tief iſt und ſchwer die Nacht Und ohne Glanz und Schein. So oͤd iſt's ringsherum Und wie im Grab ſo ſtumm — Da plöglich tritt fie ein: Ein wundervolles Weib. Wie Schnee ſo weiß ihr Leib, Doch blaß die Wangen, blaß, Die Schultern feſt und klar, Umwallt von goldnem Haar, Doch naß die Augen, naß. Sie ſieht mich an und ſchweigt, Und hebt die Hand und zeigt: Eine Kette haͤngt herab. Sie ſieht mich an und weint, Ich fuͤhle, was ſie meint, Sie fordert: Schließ mich ab! „Ich mach' dich frei im Nu!“ Ich ruf's und eile zu Und faſſe ihre Hand — — h \ A) , Weh mir! Ich prall' zurück: Eine Schlange, lang und dick, Umſchlingt das Kettenband. Ich ſchrei', ſo laut ich kann, Und rufe Mann fuͤr Mann: „Wacht auf und eilt herbei! Soll's endlich werden hell, Wacht auf! Erhebt euch ſchnell Und macht die Freiheit frei!“ — Umſonſt! Ich bleib' allein. Nicht einer, den mein Schrei’n Vom Schlaf erwachen laͤßt. Ich ſchuͤttle, ruͤttle ſie — Umſonſt! Ich weck' fie nie — Ihr Schlaf iſt viel zu feſt. „So ſei es, wie es feil Ich mach' allein dich frei, Da ich nicht Helfer traf“ — Ich ruf's und ſtuͤrze vor, Da lacht es ſchrill: „Du Tor!“ — — Ich wache auf vom Schlaf. 121 M Das ewige Geheimnis. Was wir lieben, was wir haſſen, Muß im großen Nichts erblaſſen, Taucht in die Unendlichkeit, Wo's kein Sterben gibt, kein Leben, Nur geheime Kraͤfte weben Still dein Schweigen, Ewigkeit. Finſtere Gedanken wecken Mir im Herzen tiefe Schrecken: Denk ich: alles iſt nur Schaum, Unſer Gehn und Stehn und Handeln, Unſer Ruhn und Tun und Wandeln Iſt ein Schatten bloß, ein Traum — Denk' ich dran, daß der Gerechte Muß verbluten wie der Schlechte Und das Grab vereint die Zwei, Was das reine Licht kann trennen, Soll die Nacht vereinen koͤnnen, — Bricht mir ſchier das Herz entzwei. O, finſtere Unendlichkeit, O, ſtumme Unverſtaͤndlichkeit, Fragen ohne Widerhall! Alles traͤgſt du und vertraͤgſt du, Alles ſchlaͤgſt du und erſchlaͤgſt du, Stilles Nichts, du ſtilles All. 4 0 0 2 1 \ > / Elul-MAelodien. 1 22 222 * * 277 Dr A) ) . Y Dr \ ZA DE) 11 N 1 ee m m 2 %% N N NV) 4 D \ hi „ 4 x ö 7 2 AN en IE N N . \ = * & — 3 —— - II VE 5 = DD A N \ NyN\ Elul⸗Melodien. Der Schofar⸗Blaͤſer ſtoͤßt ins Horn, Die klagenden Toͤne hallen. Es welkt am Feld das letzte Gras, Die letzten Blaͤtter fallen. Die frierende Erde ſteht nackt und kahl, Irr ſtreichen herbſtliche Schauer. Im ſterbenden Wald der Vogel ruft Zu den erſten Gebeten der Trauer. Ein ſuͤßes, wehes Abſchiedslied Entringt ſich der zitternden Kehle. Das greift ans Herz, das greift ans Herz Und zerrt und zerrt an der Seele. Der Sturmwind heult. Es rauſcht der Wald, Auffaͤhrt er aus ſeinen Traͤumen: Der Tag des großen Gerichtes naht Den Baͤumchen und den Baͤumen. Menſchen, ihr Baͤume im Weltenwald, Hoͤrt ihr ihn brauſen und wettern? Ob alt, ob jung, ob fruͤh, ob ſpaͤt, — Der Sturm wird euch alle zerſchmettern. Elul = Zeit des September. ) ( ON / AN N Der Sommer geſtorben, 8 N und verdorben / . Die Bluͤmelein blau und rot. | \ Was Leben fprühte, N In Schoͤnheit bluͤhte, Liegt eingeſchlummert und tot. N In Sturm und Wetter Wirbeln die Blaͤtter, Sein Sterbegebet ſagt der Wald. Es bebt in den Zweigen, — Dann Stille und Schweigen — — Auch das heiligſte Lied iſt verhallt. Hoch oben kreiſen Die Voͤgel. Sie reiſen Und wenden zum Meer ihren Blick. „Wohin denn zieht ihr, Wie weit entflieht ihr, Ihr Lieben, wann kehrt ihr zuruͤck?“ Da klingen hernieder Wehmuͤtige Lieder: „Wir wiſſen, das Wandern muß ſein! Übers Meer, übers Meer! Doch die Wiederkehr Iſt Gottes Wille allein.“ — TON N S NMI An mein Elend. O Elend, du allein von allen Liebft mich ſeit meinem erſten Tag. Und außer dir — ſoweit ich blicke — Iſt auch nicht einer, der mich mag. An jedem Ort bedrohn mich Feinde, Und Haſſer lauern kampfbereit — Dein bleiches Antlitz nur, mein Elend, Es laͤchelt mich an zu jeder Zeit. Mein Elend! Haſt mich aufgezogen, Hab' dich ſchon in der Wiege gekannt! Dieſelben kleinen, hohlen Augen, Dieſelbe knochenduͤrre Hand. Haſt mich in deine Lehre genommen Und trugſt ins Leben mich hinein, Haſt mir gebleicht am Wege die Blumen Und haſt mir umwoͤlkt den Sonnenſchein. Du biſt mein Heiratsmittler geweſen Und auch mein Prieſter. Haſt halb verzagt Meinen Ehvertrag dir durchgeleſen Und haſt mir dann: „Gut Gluͤck!“ geſagt. j No O nein, — ich brauch' nicht neue Proben, Du biſt mir treu. Biſt ja mit mir Nach meiner Hoffnungen Beſtattung Gegangen bis zur letzten Tuͤr. Auch jetzt, wenn ich in Angſt und Sorge Den Kopf zur Erde beug' hinab, Mein einziges, mein gutes Elend, Auch jetzt laͤßt du von mir nicht ab! Ich ſeh' dich immer, ſeh' dich kommen Von des Geſchickes finſtrem Hang: Du bringſt mir welke Friedhofsblumen Und ſingſt mir einen Sterbeſang. Und ſchlaf' ich ein, vom Fluch des Lebens In Schlaf gewiegt, trittſt du herein, Still, ſtill, in deinen ſchwarzen Kleidern, Und huͤllſt mich in die Falten ein. Mein Lohn dafuͤr? Wir bleiben Bruͤder! Ich zahle mit Muͤnze von eignem Klang: Mein krankes Herz will ich dir weihen Und dir nur weih' ich meinen Sang. ze — 7 \ SE] 9. V ZZ Das Wunderſchiff Auf die Wipfel ſteigen nieder Schon die letzten Sonnenſtrahlen, Und die grauen Abendſchatten Schlingen rings ſich um die Erde. Auf den Spitzen jener Berge Liegt ein wundervolles Gluͤhen, Da mit ihren letzten Strahlen uͤber Land die Sonne ſchreitet. Lange blutig⸗ rote Faͤden Hangen fern im Weſten nieder, Tauchen ihre heißen Enden In den kuͤhlen Ozean. Und es gleiten ſtill die Wogen Durch die dunklen Abendfchleier, Die da ſanft herniederzittern Auf das weite, weite Meer. Ruhig ſtreicht ein linder Windhauch Über See. Die fanften Wellen Raunen, fluͤſtern, wiſpern heimlich, — Wer verſteht die Waſſerſprache? — — Schimmernd in den Abendgluten, Ausgeſpannt die weißen Segel, 2 4 7 Zieht ein Schiff dort durch die Fluten, Zieht dahin... Wer weiß, wohin? Wie von Zauberhand gerudert, Treibt es, eilt es, fliegt es vorwaͤrts, Hat es Fluͤgel? Oder jagen Tauſend Geiſter hinterdrein? Auf dem Schiff nicht ein Matroſe. Nur ein Kind. Es lehnt gebrochen An dem Maſtbaum. .. Heiße Tränen Stuͤrzen aus den ſchoͤnen Augen. Lange, weiche, goldne Locken Ringeln ſich um ſeine Schultern, Sehnend blickt es nach dem Ufer, — Doch das Schiff, es fliegt, es fliegt. Sieh! Jetzt winkt das Kind mit weißem Tuͤchlein, das im Winde flattert, Winkt mir Gruͤße zu vom weiten Und ein letztes Lebewohl. Und mein Herz hebt an zu klopfen. Weinen moͤcht' ich, — ſagt, was ſoll's? — D Jenes ſchoͤne Kind — jetzt weiß ich's — Meine Jugend flieht von mir... 31 Die Not und der Dichter. „Hoyol Wer will es dort probieren, Gewaltſam zu oͤffnen meine Tuͤren? Wer kommt, mir meine Ruh' zu ſtoͤren? Gewiß die Not, ich moͤcht' es beſchwoͤren. Wahrhaftig, da iſt fie, das Zauberweib! Trag gleich von hinnen den Schauderleib! Was gibt's? Gott's Zorn mag in dich fahren! Troll dich zu all den dunklen Jahren! Du haft mich lang genug geprellt, Meinen Leib gequält, mein Leben vergällt, Haft den Mut mir geraubt, den Stolz mir zertreten, Zwangſt mich, zu bitten, zu betteln und beten! Geh jetzt, wo tauſend Teufel brennen! Nur fort! Ich will dich nicht mehr kennen! Verſchwinde, du alte, ſchmutzige Vettel, Und pack' dich mit deinem nichtsnutzigen Bettel!“ „„Tu auf, Geliebter, dein Tor fuͤr mich, Ich hab' keinen Freund ſonſt, wenn nicht dich! Die Nacht iſt kalt, und ich friere hier, Geh, laß mich wieder ein zu dir. Weißt nicht, wie lang ich mich ſchon drauf freue! Ich blieb ja dein in alter Treue. — 1 er a. a Pr IN n 2 n u RS ut ge Ach, hätt! ich dich nie verlaſſen! Seither Fand ich keinen Freund unter Juden mehrt. 8 NZ . u 2 7 2 W 2 KIN „Hinweg von mir, du Lügnerin, Leichenmutter und Totengraͤberin! Hinweg! Ich bin nicht dein Einzig⸗Einer, Dich kennen tauſend bleiche Weiner. Verlier dich auf Nimmerwiederkehr Und mach' uns keine Viſiten mehr! Man weiß: du verſtehſt es mit vielen zu treiben, Und gar mit jenen, die juͤdiſch ſchreiben!“ W 2 n S 4 N 2 1: D J 10 DNN 2 n 7, — — — — 2 IR — 7 „„Mich kennen viele, ich will ja nicht luͤgen, Doch du allein biſt mir Luſt und Vergnuͤgen. Ich lieb' deinen Lockenkopf, lieb' deine Schmerzen, Ich liebe die Wunden in deinem Herzen, Mit Wolluſt trinke ich deine Traͤnen, Ich lieb' deine Seufzer, ich liebe deine ſchoͤnen Gedichte, Viſionen und Schreckgeſichter, — Ich liebe dich, du bleicher Dichter!” “ „Du Argſte unter Satans Weibern, Ich zaͤhle nicht mehr zu den Verſeſchreibern, Ich mach' keine Reime mehr. Hoͤr', was ich ſag': Ich handle mit Kandis jetzt und Tabak. Das iſt halb ſuͤß und iſt halb bitter; Bin grad' kein gewiegter Handelsritter, Doch bin ich ein akkurater Zahler, Leb' ſchlecht und recht und ſpar meine Taler.“ , Dr Sy UT 2 7 * Are N U 1 um LS tat —— rn — N 2 Ar 7 N 1 e N Y. 4 25 „ LE y 5 / 8 2 N14 7 . 2 Mi A: er EEE IE Da —— — — Nie en U 222 Pr, 2 2 NY DE 2 “. * — N 8 Ne « A — — N „„Und ſchreibſt du nicht, ſo wirſt du ſchreiben, Wirſt, Freundchen, nicht ewig Handelsmann bleiben. Ich kenn' ſie ja gut, die alten Geſchichten: Du wirſt noch hungern und wirſt noch dichten. Nicht lang, und ich hoͤr's, wie mein Freund ſich verteidigt, Dafuͤr, daß er jetzt mich ſo ſchwer beleidigt. Drum ſei kein Narr und laß mich ein! Ob heut, ob morgen — es muß ja ſein.““ „Hinweg, du haͤßliche Megaͤre! Ich habe zu Freunden Millionaͤre. Die werden ſtaͤndig fuͤr mich ſorgen, Nicht werd' ich betteln muͤſſen noch borgen, Nicht mehr mich quälen, nicht mehr leiden, Daß meine Feinde ſich dran weiden, Die mich am liebſten truͤgen zu Grabe, Weil ich ſo ſchoͤn geſungen habe.“ „„Ach, ſprich mir nicht von den Millionaͤren! Paß auf, die Freundſchaft wird ſchnell ſich verzehren. Die werden dich gar bald vergeſſen, Haben ganz andere Intereſſen! Jetzt biſt du ihr Spielzeug, Kamerad. Doch bald dreht ſich anders das Muͤhlenrad, Zerrieben wird deine ganze Freude — Dann bleiben wir endlich beiſammen, wir beide.“ n a a N 1 e a e 9 | N, ZN —— f 5 J x ( 18 AN) SL Herbitblätter. Welches Bangen und Verlangen! Einſam ſitze ich und ſtill: Etwas moͤchte ich erlangen, Doch ich weiß nicht, was ich will. Sind es Freuden, ſind es Leiden, Nur fuͤr mich allein beſtellt? Krank iſt eines von uns beiden, Sagt, bin ich es? Iſt's die Welt? Stunden kommen und verrinnen, Neue, neue kommen zu, Doch nicht eine bringt den Sinnen, Bringt dem kranken Herzen Ruh'. Kann nicht reden und muß leiden, Weiß nicht, was im Bann mich haͤlt. Krank iſt eines von uns beiden, Sagt, bin ich es? Iſt's die Welt? * * —— « mu — 0:0 BER Ich liebe den Wind, ich liebe das Meer, Denn wie der Wind, ſo bin ich elend, Und wie das Meer, ſo rauſcht mein Herz. Ich liebe die Wolken, ich liebe die Nacht. Denn wie die Wolken kann ich weinen, Und wie die Nacht ift meine Welt. * * DS A lte * Die Welt fo alt und alltäglich, Das Leben ſo kalt und fo klaͤglich, Die Erde ſo ſchmutzig, ſo klein, Die Zeit fo verworren, fo flüchtig, Die Menſchen fo töricht, fo nichtig, — Was ſoll ich da, einer allein? — 27 ae N > — * x — | N I — * * * Hab' viel gelacht, doch viel auch geweint, Mein Lachen war ſtets mit Traͤnen vereint, Leid kam, die Luſt zu ſtoͤren — . . . Nicht viel zu hören. Hab' oft geſprochen, oft ſchwieg mein Mund, Mein Schweigen tat mehr als mein Reden kund, Ich kann euch ſchwoͤren: . . . Nicht viel zu hören. Hab' viel gehaßt, doch viel geliebt, ſo viel, Mich quaͤlte ein ewiges Widerſpiel. Ich wollte mich trotzig empoͤren — . .. Nicht viel zu hören. F * Wo ich fahre, wo ich gehe, Wo ich ſitze, wo ich ſtehe, Schwebt vor mir ein bleiches Bild. Schreckgeſtalt! Von Stund' zu Stunde Immer bleicher, — 5 | — EI ZU EN NN N 7 \ M f N N iR E v7 2 INT 2 g = N \ I [2 Da * Heiße Tränen fallen nieder, Immer reicher. Um die duͤrren Backen zuckt es, Starr aus muͤden Augen guckt es, Und mich faßt ein Schrecken wild. Schreib' ich, auf dem Blatte lebt es, Leſ' ich, ſeh' ich's auf dem Buche, Ganz vergeblich, daß ich ſuche, Zu entfliehen. Vor mir ſchwebt es, Wo ich geh' und wo ich ſteh', Starr und groß, das bleiche Weh' — Bis mich einſt das Grab umſchließt Und das Bild in nichts zerfließt. Der Weg iſt weit, der Tag iſt kurz, Die Sonne ſteigt ſchon herunter. Das Waſſer rauſcht, und das Ufer iſt fern, — Mein Schiff, mein Schiff geht unter! Da hilft kein Ringen. Es pfeift der Wind, Das Spiel wird bunt und bunter, Das Merer iſt unendlich, die Flut iſt wild, — Mein Schiff, mein Schiff geht unter! Fahr wohl, vielſchoͤne Sonne, fahr wohl! Du ſcheinſt bald wieder munter, Doch ich, — ſo ſchaurig brauſt das Meer — Mein Schiff, mein Schiff geht unter.. N N . I U EN 3 (Rep, AN N J > | Friedhof. 1 8 W — 22¹ 1270 = 1 m. fe. — NM vn Lilien Die Friedhofsnachtigal. Zwiſchen jenen dunklen Bergen In ein duͤſteres Tal gebettet, Liegt ein alter Totengarten, Graͤber gibt's da ſonder Zahl. Alte Graͤber, ſtumme Steine Moosbewachſen und verwittert. Toteneinſamkeit. Die Menſchen Meiden ſcheu das Tal der Graͤber. Alte, duͤrre Weidenbaͤume Blicken traurig in das Duͤſter, Und ſie gleichen Nachtgeſpenſtern, Wie ſie daſtehn, ſtille Traͤumer. Horch, da ploͤtzlich ſanfte Triller, Weiche, ſchmerzlich⸗ſuͤße Klaͤnge! Ihre wundervollen Lieder Singt die Friedhofsnachtigall. Sanfte, lieblich⸗wehe Klaͤnge! Und ſie fliegt von Zweig zu Zweig. Fuͤr die ſtummen Traͤumer ſingt ſie Ihre grabgebornen Lieder. 139 91 —L—'6k - E U Ne MEN VE SE D 1660 \ 14 Wie die weichen Klaͤnge zittern Zwiſchen jenen alten Graͤbern! Dennoch waͤhlt ſie ſich zum Singen Keinen als den „guten“ Ort. * * * Nicht von Fruͤhlings Herrlichkeiten, Nicht von Himmels Seligkeiten Klingt des wahren Saͤngers Lied. Nicht von Feldern, Waͤldern, Teichen, Nicht von allem Gluͤck der Reichen, Nur von Graͤbern klingt ſein Lied. Elend ſieht er, Not und Schmerzen, Doch er ſelbſt traͤgt tief im Herzen Wunden, die kein Auge ſieht, Und des Weltenfriedhofs Schauer Und die ewig⸗große Trauer Rauſchen auf in feinem Lied. ER S 2 -. Lieder der Arbeit. Widmung: „Mein id"... .. ; f. ß re le ec Lieder von der Armengaſſ . » - An der Nähmafhine . . Die Nachtigall zum Arbeiter. Das Lied der Not . N A ER Die Träne auf dem Eifen EDER ln N RE a Be . VVV BER eee, se Was iſt die Welt? Auf dem Totengarten Lieder des Volkes. hzßnn½ ; Das Volk des Herrn Das Meſſen der Gräber . . K yore Sturm * * * 2 * * + + + + + + * Inhalt. „„ en a Jomkipur Abend „ Chanukka⸗Lichtee 81 Ff. ᷣ ß "| Kiduſch Lewana g 86 Laubhuͤttenfeſt vorbei... . . . -» 89 Der juͤdiſche Mi. 93 Lieder des Lebens. Blumen im Herbft . „ n Wisis 14106 / V Die Erſchaffung des Menſchen . . 115 Den „Weltverſchlingern UW 118 / ĩ 120 Das ewige Geheimniss 122 — 2.2... 0.20% 125 An mein Elend 127 Das Wunderſchifl . 129 Die Not und der Dichter . . . 131 SB ᷣ 11 Die Friedhofsnachtigall. . 139 99 1120 N I RN A N NV W e N > N SI) IE x N N